21/08/2019

Orbáns Kandidatin
Man verteidigte sich mit dem Argument, das EU-Parlament sei nicht in der Lage gewesen, eine fraktionsübergreifende Lösung zu finden. Doch wann hätte eine solche erarbeitet werden sollen? Das neue Parlament trat am 2. Juli, wenige Stunden vor Bekanntgabe des Personalvorschlags, erstmals zusammen. Unter den 751 Abgeordneten, die 190 nationale und regionale Parteien vertreten, befinden sich 420 Neulinge. Die mussten sich erst mal orientieren. Das Parlament hätte nach dem 2. Juli ausreichend Zeit für Verhandlungen gehabt, denn Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker amtiert noch bis Ende Oktober.

AUSZÜGE DER MAUSCHELEI

 Als Donald Tusk dann die Personalie Ursula von der Leyen am Abend des 2. Juli 2019 verkündete, gab es aus der EVP keinerlei Proteste gegen die Übergriffigkeit des Europäischen Rats und den offenen Bruch des Wahlversprechens. Auch die Aufkündigung der informellen GroKo mit den Sozialdemokraten wurde nicht thematisiert. Man verteidigte sich mit dem Argument, das EU-Parlament sei nicht in der Lage gewesen, eine fraktionsübergreifende Lösung zu finden. Doch wann hätte eine solche erarbeitet werden sollen? Das neue Parlament trat am 2. Juli, wenige Stunden vor Bekanntgabe des Personalvorschlags, erstmals zusammen. Unter den 751 Abgeordneten, die 190 nationale und regionale Parteien vertreten, befinden sich 420 Neulinge. Die mussten sich erst mal orientieren. Das Parlament hätte nach dem 2. Juli ausreichend Zeit für Verhandlungen gehabt, denn Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker amtiert noch bis Ende Oktober. Bis dahin hätte man sich auf Weber oder Timmermans (oder die Liberale Margrethe Vestager) einigen können. Der Grund, warum der Europäische Rat das Parlament überrumpelte, war offensichtlich. Die Spitzenkandidaten waren vielen ein Dorn im Auge. Die Interessen der Osteuropäer auf eine ungestörte nationale Innenpolitik spielten dabei eine unrühmliche Rolle. Das war der dritte Sündenfall der Union.
Denn am 1. Juli hatte sich Emmanuel Macron am Rande des EU-Gipfels mit den Regierungschefs der vier osteuropäischen Visegrád-Staaten Ungarn, Polen, Tschechien und Slowakei getroffen. Bereits bei einem Vortreffen der Visegrád-Gruppe Mitte Juni in Budapest hatte Ungarns Staatschef Viktor Orbán die Gruppe auf die Parole eingeschworen, es gelte die Kandidaten Weber und Timmermans um jeden Preis zu verhindern. Sie seien Feinde Zentraleuropas und der osteuropäischen Auffassung von Demokratie. In Orbáns Umgebung wird Timmermans als „Marionette von George Soros“ verunglimpft.
Die „Liquidierung“ von Timmermans und Weber im Europäischen Rat meldete als Erstes Zoltán Kovács, Staatssekretär und Pressesprecher Viktor Orbáns. Am 2. Juli um 15.41 Uhr twitterte er: „Nachdem wir Weber besiegt und Timmermans abserviert hatten, haben wir ein Personalpaket auf den EU-Tisch gelegt, das sich wachsender Zustimmung unter den Mitgliedsstaaten erfreut: Die vier Visegrád-Staaten unterstützen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen als nächste Kommissionspräsidentin.“ Als kurz darauf der BBC-Reporter Gavin Lee den „Knock-out“ der Spitzenkandidaten durch die Visegrád-Staaten verkündete, antwortete ihm der ungarische Regierungs-Account „AboutHungary“ stolz: „Und wir haben Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin nominiert.“ Orbán feiert seinen Husarenstreich bereits als Beginn einer neuen europäischen Ära.

Wichtigtuerei

Natürlich kann man das als Wichtigtuerei abtun, aber es zeigt doch, auf wen sich Ursula von der Leyens Präsidentschaft stützen wird. Selbst der zurückhaltende Manfred Weber sprach entsetzt von einer „Achse Macron–Orbán“ und fügte frustriert hinzu: „Das ist nicht das Europa, das ich mir vorstelle.“
Mit diesem Makel wird die Kommissionspräsidentin von der Leyen nun konfrontiert werden müssen. Es sei denn, Sozialdemokraten und Grüne helfen ihr noch aus der Klemme.