26/01/2018

Eine Partei neuen Typs

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/news-gruene-parteitag-robert-habeck-spd-donald-trump-davos-deutsche-bahn-a-1189881.html
 
Wenn sich der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck und die Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock durchsetzen - was durchaus möglich ist - werden erstmals zwei Realos die Partei führen. Es wäre das Ende der Quotenlogik bei den Grünen - und ein Signal dafür, dass sich die Grünen im deutschen Parteiensystem völlig neu orientieren.
Der rasende Niedergang der SPD
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Natürlich ist den Grünen nicht entgangen, wie rasend schnell der Verfall der SPD voranschreitet. In Baden-Württemberg haben sie die SPD schon vor Jahren als Volkspartei abgelöst, und auch bei der Bundestagswahl im Herbst profitierten die Grünen von der Schwäche der Sozialdemokraten. Im Moment erscheint es sogar denkbar, dass die SPD den französischen Sozialisten auf dem Weg in den Untergang folgt.
Sahra Wagenknecht hat schon auf ihre Weise auf die Krise reagiert und eine Sammlungsbewegung ins Gespräch gebracht, die das linke Lager an die Macht führen soll. Aber wie soll eine Bewegung Mehrheiten gewinnen, die von einer Frau geführt wird, die alles ablehnt, was die Bundesrepublik in den vergangenen Jahrzehnten stark gemacht hat, und die sich nun anschickt, auch noch die ressentimentgeladenen Anhänger der AfD anzusprechen?
Die Grünen haben klugerweise äußerst zurückhaltend auf das vergiftete Angebot Wagenknechts reagiert. Wenn es eine Kraft gibt, die sich als neue Partei der Mitte präsentieren kann, dann sind es die Grünen.
Eine Partei neuen Typs
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Zugegeben: Ich war immer skeptisch, wenn die Kretschmann-Grünen in Baden-Württemberg davon sprachen, sie seien die neue Volkspartei. Der Reiz der Grünen bestand darin, dass sie in der Gegenwart früher als andere das Überkommene erkannten. Sie praktizierten eine Radikalität, die zum Mainstream wurde. Am Ende war es auch in der CSU Konsens, dass Atomkraftwerke von Übel sind und Frauen die Möglichkeit haben sollten, einen Beruf auszuüben, auch wenn sie Kinder haben.
Eine Grüne Volkspartei aber ist immer auch eine Partei mit eingebautem Kompromiss, was sich zuletzt daran zeigte, wie fürsorglich der Grünen-Ministerpräsident Kretschmann die Autoindustrie behandelt. Die Vision einer Republik ohne Verbrennungsmotoren ist von Kretschmann jedenfalls nicht zu erwarten.
Aber sollte die SPD tatsächlich weiter abrutschen, fällt den Grünen ganz automatisch die Rolle einer neuen Volkspartei zu. Schon in den Jamaika-Verhandlungen haben sie eine staatspolitische Verantwortung bewiesen, die FDP und (Teile der) SPD gerade vermissen lassen. Wer, wenn nicht die Grünen, soll jene Wähler auffangen, die sich von der chaotischen SPD nicht mehr vertreten fühlen und die abgeschreckt sind von einer CDU, in der die konservativen Kräfte immer lauter werden? Insofern könnte Deutschland in den kommenden Tagen die Entstehung der Grünen als Partei neuen Typs erleben.