http://www.spiegel.de/politik/deutschland/news-gruene-parteitag-robert-habeck-spd-donald-trump-davos-deutsche-bahn-a-1189881.html
Wenn sich der schleswig-holsteinische Umweltminister Robert Habeck und die Bundestagsabgeordnete Annalena Baerbock
durchsetzen - was durchaus möglich ist - werden erstmals zwei Realos
die Partei führen. Es wäre das Ende der Quotenlogik bei den Grünen - und
ein Signal dafür, dass sich die Grünen im deutschen Parteiensystem
völlig neu orientieren.
Der rasende Niedergang der SPD
Natürlich ist den Grünen nicht entgangen, wie rasend schnell der Verfall der SPD voranschreitet.
In Baden-Württemberg haben sie die SPD schon vor Jahren als Volkspartei
abgelöst, und auch bei der Bundestagswahl im Herbst profitierten die
Grünen von der Schwäche der Sozialdemokraten. Im Moment erscheint es sogar denkbar, dass die SPD den französischen Sozialisten auf dem Weg in den Untergang folgt.
Sahra Wagenknecht hat schon auf ihre Weise auf die Krise reagiert
und eine Sammlungsbewegung ins Gespräch gebracht, die das linke Lager an
die Macht führen soll. Aber wie soll eine Bewegung Mehrheiten gewinnen,
die von einer Frau geführt wird, die alles ablehnt, was die
Bundesrepublik in den vergangenen Jahrzehnten stark gemacht hat, und die
sich nun anschickt, auch noch die ressentimentgeladenen Anhänger der
AfD anzusprechen?
Die Grünen haben klugerweise äußerst zurückhaltend auf das
vergiftete Angebot Wagenknechts reagiert. Wenn es eine Kraft gibt, die
sich als neue Partei der Mitte präsentieren kann, dann sind es die
Grünen.
Eine Partei neuen Typs
Zugegeben: Ich war immer skeptisch, wenn die Kretschmann-Grünen in
Baden-Württemberg davon sprachen, sie seien die neue Volkspartei. Der
Reiz der Grünen bestand darin, dass sie in der Gegenwart früher als
andere das Überkommene erkannten. Sie praktizierten eine Radikalität,
die zum Mainstream wurde. Am Ende war es auch in der CSU Konsens, dass
Atomkraftwerke von Übel sind und Frauen die Möglichkeit haben sollten,
einen Beruf auszuüben, auch wenn sie Kinder haben.
Eine Grüne Volkspartei aber ist immer auch eine Partei mit
eingebautem Kompromiss, was sich zuletzt daran zeigte, wie fürsorglich
der Grünen-Ministerpräsident Kretschmann die Autoindustrie behandelt.
Die Vision einer Republik ohne Verbrennungsmotoren ist von Kretschmann
jedenfalls nicht zu erwarten.
Aber sollte die SPD tatsächlich weiter abrutschen, fällt den Grünen
ganz automatisch die Rolle einer neuen Volkspartei zu. Schon in den
Jamaika-Verhandlungen haben sie eine staatspolitische Verantwortung
bewiesen, die FDP und (Teile der) SPD gerade vermissen lassen. Wer, wenn
nicht die Grünen, soll jene Wähler auffangen, die sich von der
chaotischen SPD nicht mehr vertreten fühlen und die abgeschreckt sind
von einer CDU, in der die konservativen Kräfte immer lauter werden?
Insofern könnte Deutschland in den kommenden Tagen die Entstehung der
Grünen als Partei neuen Typs erleben.