24/01/2018

Eigentlich hat sie eine Mutter, die sich gerne um sie kümmern würde. Aber sie darf nicht zu ihr. Warum?

 
Muntere Kälber, grasende Kühe, duftende Wiesen – kaum eine "Nutztierhaltung" ist so sehr mit idyllischen Bildern aufgeladen wie die Milchindustrie. So bleibt die Wahrheit zumeist im Dunkeln: wie sehr auch in Deutschland Kühe und Kälber für Milch, Butter und Käse leiden.

Kein Kälbchen, keine Milch
Wie jedes Säugetier gibt eine Kuh nur dann Milch, wenn sie ein Junges zur Welt gebracht hat. Im Jahresrhythmus wird deswegen eine Milchkuh aufs Neue geschwängert, meistens durch künstliche Besamung. Neun Monate lang wächst das Kalb in ihrem Bauch heran – wie beim Menschen. Doch da die Milch ausschließlich für den menschlichen Konsum bestimmt ist, wird der Mutterkuh das Kalb in der konventionellen Milchwirtschaft nach der Geburt weggenommen: oft schon nach wenigen Minuten, stets jedoch am selben Tag.

Traumatische Trennung
Nach neun Monaten Trächtigkeit ist der gesamte Organismus einer Kuh auf die Mutterrolle eingestellt. Umso größer ist der Schmerz der Trennung: Wie die Verhaltensforschung weiß, sind Kühe gleichermaßen aufmerksame wie beschützende Mütter, die ihre Kälber unter natürlichen Umständen kaum aus den Augen lassen. Viele Kühe rufen über Stunden oder sogar Wochen dem Neugeborenen hinterher, nachdem es ihr sofort weggenommen wurde. Oft darf das Kalb nicht einmal das Kolostrum, die sogenannte Biestmilch, an den Zitzen der Kuh trinken. Sowohl bei Mutter – als auch bei Jungtieren kann diese Trennung zu tiefer Verstörung führen, die bis zu mehreren Wochen anhält.
Seine ersten Lebenswochen verbringt das Junge in einer sogenannten Kälberbox oder in einem Kälberiglu. Mütterliche Zuneigung bleibt dem Kalb hier ebenso verwehrt wie die Möglichkeit, mit Artgenossen zu spielen. Erst ab einem Alter von acht Wochen ist in Deutschland eine Gruppenhaltung für Kälber vorgeschrieben.

Zur Höchstleistung gezüchtet
Durch Zucht zum Extrem hat sich die Melkmenge der modernen Rinderrassen kontinuierlich gesteigert: Ihre Körper und Euter sind auf Höchstleistung getrimmt. Vor 100 Jahren kam eine Milchkuh auf weniger als 2000 Liter Milch pro Jahr. In den 1950ern wurden „Spitzentiere“ gefeiert, die es auf 6000 Liter schafften. Heute „produziert“ eine Milchkuh in Deutschland durchschnittlich 7746 Liter. Hochleistungstiere jedoch geben sogar rund 10.000 Liter, manche sogar bis zu 15.000 Liter pro Jahr. Bekanntestes Beispiel ist das Holstein-Rind: schwarz-weiß gefleckt und mit überproportional großem Euter wurde es weltweit zum Synonym für die moderne Milchindustrie.

Trostlose Haltung
Ausführliches Grasen und Wiederkäuen, Laufen auf Wiesen und Ruhen auf weichem Grund entspräche dem Verdauungs- und Bewegungsapparat von Rindern. Die deutsche Nutztierhaltung schränkt die Voraussetzungen dafür jedoch immer weiter ein. Nicht einmal 42 Prozent der Milchkühe haben je Zugang zu Weiden. Dieser Freigang ist im Schnitt wiederum auf nur fünfeinhalb Monate im Jahr begrenzt. Die anderen Milchkühe bleiben während ihres gesamten Lebens im Stall. Etwa 72 Prozent verbringen ihre Tage in Laufställen, zumeist mit Liegeboxen. Zwar sind diese Ruheflächen mit Gummibelägen, seltener mit Einstreu versehen. Doch auf den Laufflächen stehen die Tiere oft auf bloßen Spaltenböden: also Betonböden, deren Betonstege sich mit Spalten abwechseln, sodass Kot und Urin nach unten durchfallen können.
In den meisten Ställen ist es eng: Zwischen 50 und 99 Tiere sind die Norm für deutsche Betriebe. Nur etwa vier Quadratmeter Fläche haben die bis zu 750 kg schweren Milchkühe in den Laufbereichen durchschnittlich Platz. Noch enger ist es für die Tiere jedoch in Anbindehaltung, in der vor allem in Süddeutschland noch ca. 27 Prozent der Milchkühe leben. Da die angeketteten Tiere keine Ausweichmöglichkeiten haben, liegen sie hier oftmals im eigenen Kot. Obwohl der Bundesrat ein Verbot der Anbindehaltung angestoßen hatte, ist diese in Deutschland nach wie vor erlaubt.