03/12/2017

Große Koalition: Ein Sargnagel namens Groko

http://www.zeit.de/politik/deutschland/2017-11/grosse-koalition-spd-cdu-csu-gefahren
Die Groko-Befürworter in der SPD zitieren gern Franz Müntefering. "Opposition ist Mist", hat der frühere Parteichef einmal gesagt. Ausgelaugt zu regieren mit der Aussicht, weiter ausgelaugt zu werden, ist aber der größere Mist. Auch weil die Groko-Chefin Merkel erfolgreich als Ideenvampirin agiert, droht der SPD in einem Regierungsbündnis mit der Union nicht weniger als die Bedeutungslosigkeit. Das wäre verheerend.
Deutschland geht es wirtschaftlich und sozial vergleichsweise auch deshalb so gut, weil seit Gründung der Bundesrepublik in der politischen Mitte zwei Parteien abwechselnd die Führung übernommen haben, die nicht zuerst Einzelinteressen vertreten, sondern das große Ganze im Blick hatten. Es ist ein wesentlicher Teil des Konzepts einer Volkspartei. Diesen Anspruch darf die SPD nicht aufgeben, wenn sie wieder eine relevante Kraft in Deutschland werden will. Deshalb darf aus der einstigen Ausnahme Groko auch nicht die Regel werden.   
Paradoxerweise funktioniert der Satz "Erst das Land, dann die Partei" für die SPD derzeit nur, wenn sie an sich zuerst denkt: Dem Land wäre damit gedient, wenn die Sozialdemokraten endlich sozialdemokratische Antworten auf die Zukunftsfragen suchen würden. Die SPD war immer dann gut, wenn sie formuliert hat, wohin die Gesellschaft grundsätzlich steuern soll. Dazu gehörte Willy Brandts "Mehr Demokratie wagen" und auch Schröders "Neue Mitte". So unterschiedlich beide Konzepte waren, sie reagierten auf die fundamentalen Richtungsfragen ihrer Zeit.

Große Versuchung

Die Aufforderung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an alle Parteien, eine Lösung jenseits von Neuwahlen zu finden, ist natürlich keine einfache, im Gegenteil. Doch wie leicht sich die SPD vom grundsätzlichen Nein zur Groko zu einem Vielleicht bewegen ließ, ist zumindest überraschend. Da muss die Frage erlaubt sein, ob sich hinter dem staatstragenden Pragmatismus nicht in Wirklichkeit ein Opportunismus verbirgt, der Posten und Einfluss sichert. Im Gegensatz zur Tolerierung einer Minderheitsregierung, böte eine Groko eben Ministerämter und andere schöne Alternativen. Die Versuchung ist jedenfalls groß. Zudem muss die SPD fürchten, bei Neuwahlen vom Wähler noch mehr abgestraft zu werden. Dann offenbar doch lieber direkt in die Groko.
Die SPD sollte sich genügend Zeit nehmen, um zu entscheiden, welche Rolle sie in den kommenden Monaten spielen will. Da ist Fantasie gefragt. Jamaika, eine große Koalition oder eine reine Minderheitsregierung sind nicht die einzigen möglichen Lösungen. Der Sprecher der SPD-Linken, Matthias Miersch, hat einen vierten Weg vorgeschlagen. Denkbar sei, mit der Union verbindliche Verabredungen in wichtigen Themenfeldern wie der Europapolitik zu vereinbaren, ohne in eine große Koalition einzutreten oder eine feste Unterstützung für eine Minderheitsregierung zu garantieren.
Warum eigentlich nicht? Erst das Land, dann die Partei. Die SPD kann und soll an diesem Mantra auch bei dieser schwierigen Regierungsbildung festhalten – indem sie auf eine weitere Groko verzichtet. Denn mit einem Land ohne diese Partei ist niemandem gedient.