08/12/2015

SV Osnabrück ist zum vierten Mal Deutscher Fernschach-Meister – Ein Beitrag von RALF MULDE

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Der zehnte Deutsche Fernschach-Mannschaftsmeister 2015 kommt aus Osnabrück! Eigentlich lebt zwar nur Mannschafts-Kapitän Gerhard Müller in der Remarque-Stadt am (mehr oder weniger reißenden) Hase-Else-Flussdelta, aber natürlich sind seine Crew-Mitglieder Klaus Kögler, Heinrich Repp und Matthias Rüfenacht ebenfalls Mitglied im SV Osnabrück.

Mit Fernschach-Großmeister Matthias Rüfenacht ist sogar ein Basler dabei. Und gerade der freut sich wie ein Schneekönig: „Als Schweizer Bürger Mannschaftsfernschachmeister in dem Land zu werden, dem seit Jahrzehnten meine Sympathie gehört und in dem ich meine Frau Annette kennen lernen durfte, mit der ich bald 33 Jahre glücklich verheiratet bin, macht diesen Erfolg zu einen meiner schönsten im Fernschach überhaupt.“

Prompt tauchten auch schon anderswo Begehrlichkeiten auf: Aus dem fernen Island stammte die prompte Überlegung einer Schachfreundin, dass nun doch wohl auch eine Spielerin ihrer Vulkan- und Trolle-Insel „Deutsche Frauen-Fernschach-Mannschafts-Meisterin“ werden könne …? Nun ja, im Prinzip schon – wenn es diesen Wettbewerb für Damen überhaupt gäbe. Aber natürlich dürfte zum Beispiel auch eine hawaiianische Fernschach-Spielerin in einem deutschen Team siegen! Nach der wird aber zur Zeit noch gesucht.


Weil Fernschach die wissenschaftliche Variante des Schachs ist, in der ohne Aufregung viele Winkel des Bretts ausgeforscht werden können und viele „feiste Fehler“ [Robert Hübner] vermieden werden können, ist die Remis-Quote in den Turnieren natürlich hoch. Andererseits: Es könnte natürlich keinen Sieger geben, hätte man ausschließlich remisiert. Beim Sieger Osnabrück erzielten also die ersten drei Bretter jeweils 4,5 aus 8 und GM Rüfenacht gelangen sogar 5,5 Punkte – so werden Legenden gemacht.

In der Reihung ihrer Bretter, an die sich die Spieler für zwei Jahre festgeschmiedet fanden, spielten sie so: [1.] GM Gerhard Müller 4,5/8, [2.] GM Klaus Kögler 4,5/8, [3.] SIM Heinrich Repp 4,5/8, [4.] GM Matthias Rüfenacht 5,5/8.

GM heißt hier natürlich immer Fernschach-GM, das Team startet ja nicht für General Motors. Und ein SIM spielt auch nicht für Simca, sondern es handelt sich um einen „Senior International Master“ – die Übersetzung davon lautet auch nicht so, dass es hier um den Bewohner eines Seniorenstiftes ginge, sondern „Verdienter Internationale Meister„, die Stufe zwischen IM und GM.

Dass die Spieler eines Teams so wie auch hier keinerlei geographische Berührung haben, ist völlig unspektakulär, denn in einem funktionierenden Team bespricht man sich untereinander gemeinhin per e-mail. Na klar., Telefon ginge auch, und gegen Besuche zu Kaffee & Kuchen ist auch nichts einzuwenden. Die Züge werden im modernen Fernschach jedenfalls kaum noch per Postkarte und auch immer weniger per e-mail ausgetauscht [Lichtzeichen, Flaggen-Alphabet usw. kämen ja auch noch in Betracht], sondern man bedient sich eines Servers, wie ihn die meisten Spieler am ehesten für das Blitzschach vom Schachkonzern Chessbase kennen.

Der Unterschied besteht vor allem darin, dass ein Spieler auf dem Fernschach-Server eben nicht drei oder fünf Minuten für die Partie vorgibt, sondern zumeist 50 Tage für 10 Züge, in der leicht gehetzten Variante auch mal 30 Tage. Gehetzt? Weil die meisten Spieler mehr als eine Fernpartie zugleich spielen, kommt es auch bei diesen Bedenkzeiten durchaus vor, dass Partien durch Zeitnot verloren gehen.

„Erlaubt ist alles, was die Steckdose und der Verstand hergeben“, sagte der 1956 geborene Fernschach-Großmeister Rüfenacht. Wenn er das Weiße im Auge des Gegners sehen möchte, spielt der FM [Elo 2327] für Brombach in der Oberliga Baden, also in Deutschland, aber eben auch im Rütli-Staat in der Schweizer Nationalliga [B].

„Man darf bei der Partie Bücher benutzen, natürlich auch den Computer, man kann sich im Team oder mit sonst wem beraten, man kann auf dem Brett alle Figuren anfassen und bewegen, man kann zwischen seinen Zügen Urlaub machen, es geht einfach alles. Man darf sich nur nicht verschreiben, weil der abgeschickte Zug nicht zurückgenommen werden darf.“

Zum Glück darf man auch Kaffee trinken, Zeitung lesen, Musik hören, mit jedermann schnacken, sogar Allllohooool verköstigen und – Donnerschlag! – sogar rauchen, sofern es die liebende Gattin erlaubt. So wie auch Schach „am Brett“ – „OTB“ nennt der Fernschacher das gewöhnlich, „over the board“ statt „Nahschach“ – ist Fernschach nämlich durchweg Männersport. Fernschachspieler sind also die männlichen Rhythmischen Sportgymnasten.

Wie aber kam es nun zu diesem Erfolg? Ich übergebe nochmals an GM Rüfenacht: „Es war ein spannendes Rennen zwischen dem Titelverteidiger Spandau Berlin und Osnabrück, das erst in der Endphase durch die Endspielsiege von Klaus Kögler am 2. Brett gegen Christoph Kamp [Münster] und von mir gegen Manfred Bauer [Rochade] entschieden wurde. Gegen Rolf Sicker [Moers] gelang mir eine spektakuläre Partie mit einer Königswanderung nach der langen Rochade von c1 bis nach h5 und allen Schwerfiguren auf dem Brett! Die habe ich in der Fernschachpost Nr. 6/2015 kommentiert.“ Also: kaufen. Die gibt’s hier nicht für lau.

Die Osnabrücker sind nun schon zum vierten Mal Meister geworden, hinzu kommen noch zwei zweite Plätze – und diese jeweils zwei Jahre dauernde Mannschafts-Titelkämpfe gibt es erst seit 1995/97! Ausgetragen wird die Meisterschaft heute in der 1. Fernschach-Bundesliga der die 2. Fernschach-Bundesliga, die 1. Fernschach-Bundesklasse und die 2. Fernschach-Bundesklasse folgen.
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P.S.: Soweit der Beitrag unseres Schach-Ticker-Mitstreiters Ralf Mulde aus Bremen. Da ich die von ihm erwähnte Ausgabe der Fernschachpost in meinem Besitz habe und darüber hinaus selbst das Vergnügen hatte, gegen Matthias Rüfenacht eine Fernschach-Partie zu spielen, denke ich, dass wir an dieser Stelle als Anreiz zumindest das Finale der von ihm erwähnten Begegnung gegen Rolf Sicker veröffentlichen, in der er Weiß hatte. Doch schauen Sie selbst!

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15.Kd2! Wir steigen also mit Beginn der von Matthias erwähnten Königswanderung in die Partie ein. 15…Sd7 16.Lxh7 Da5+ 17.Ke3 Dxa2 18.f4 Da3+ 19.Kf2 Sc5 20.Sd4 Se6 21.Sxe6 Lxe6 22.f5 Dc5+ 23.Kg3 Ld7 24.c4!

6

24…b5 25.cxd5 cxd5 26.h3 De3+ 27.Kh4 Df2+ 28.g3 Dc5 29.The1 De7+ 30.Kh5 Lc6 31.f6 Db4 32.e6

7

Die Schlussstellung verdient wahrlich ein Diagramm. Der weiße König ist nach der langen Rochade im elften Zug über die Route c1-d2-e3-f2-g3-h4 schließlich auf h5 gelandet, während die schwarze Majestät auf seinem Ausgangsfeld zur Strecke gebracht wird …

[Redaktion Raymund Stolze]