24/11/2014

Abschließende Anmerkungen zum WM-Match Carlsen vs. Anand von RAYMUND STOLZE


Abschließende Anmerkungen zum WM-Match Carlsen vs. Anand von RAYMUND STOLZE

Anastasia Karlovich
Copyright: Anastasia Karlovich
Wenn Sie mich fragen, wie ich den Ausgang des WM-Matches Carlsen vs. Anand in einem Satz einschätzen würde, so lautet meine Antwort: „Vishy“ hat sich selbst geschlagen – und das meine ich wirklich ernst!

War vor einem Jahr die Überlegenheit des damaligen Herausforderers Magnus Carlsen – noch dazu in der Geburtstadt von Viswanathan Anand – vor allem vom Ergebnis her mehr als deutlich, so hatte der Weltmeister aus Norwegen zwölf Monate später im russischen Schwarzmeerkurort Sotschi, wo im Februar bekanntlich die Olympischen Winterspiele stattfanden, mehr zu tun, als er sicherlich erwartet hatte.

Das liegt natürlich ganz sicherlich daran, dass in diesem Revanchematch der Exweltmeister einerseits keinen psychologischen Druck einer Titelverteidigung ausgesetzt war, und andererseits wusste, wie er seinem 21 Jahre jüngeren Kontrahenten begegnen musste. In meiner Vorschau auf dieses Duell der Generationen [ http://www.chess-international.de/Archive/29918#more-29918 ] hatte ich meine Sicht der Dinge zu begründen versucht, warum der Herausforderer tatsächlich eine reale Chance besitzt, diesen Zweikampf zu gewinnen. Und dennoch ist es anders gekommen, denn mit seinem dritten Sieg in der elften Partie konnte der 23-jährige Norweger die Schachkrone vorzeitig und durchaus auch glücklich mit 6,5:4,5 verteidigen.
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Sie haben richtig gelesen: Auch glücklich!

An seiner Niederlage ist Viswanathan Anand, der in Hinsicht auf die Eröffnungswahl sehr gut eingestellt gewesen ist – vor allem mit der „Berliner Mauer“ im Spanier wusste Magnus nicht so recht etwas anzufangen – wohl am Ende selbst Schuld.

Fakt ist: Bei der kurzen Distanz von zwölf regulären Partien im Klassischen Schach – nach jeder zweiten gab es zudem einen Ruhetag – war der Altersunterschied von mehr als zwei Jahrzehnten zwischen den beiden herausragenden Schachspielern keineswegs ausschlaggebend. In seinem Beitrag „Die A-Frage“ in Wochenzeitung DIE ZEIT [Nummer 46 vom 6. November 2014] hat der Autor Ulrich Stock sich intensiv damit beschäftigt, ob der Ältere eine Chance hat und dazu u.a. Adelheid Kuhlmey interviewt, die sich seit 35 Jahren als Gerontologin mit allen Facetten des Älterwerdens beschäftigt. Dass Anand mit 44 Jahren noch einmal Weltmeister werden wollte, hat die Direktorin des Instituts für Medizinische Soziologie überhaupt nicht verwundert, denn in seinem Alter würden in Deutschland überhaupt viele erst Professor. „Ich sage meinen Mitarbeitern immer: Wie lange wollt ihr noch auf der Jugendschiene fahren, ihr seit doch schon 40!“

Beim Match im November 2013 in Chennai dass Carlsen klar mit 6,5:3,5 für sich entschied, war auffällig, dass Anand das nötige Selbstbewusstsein für einen solchen Zweikampf auf höchstem Niveau zu fehlen schien. Sein junger Gegner hatte die Schachwelt bis dato durch überragende Ergebnisse überzeugt, sein „Stern“ überstrahlte alles bis dahin da Gewesene – die Schachwelt lag ihm zu Füßen, und zugespitzt: Der Herausforderer, der sich erst spät entschieden hatte im Frühjahr am Kandidatenturnier in Chanty Mansijsk teilzunehmen, dass er sehr überzeugend gewann, erschien als Mann der Vergangenheit und ohne Zukunft.

Wenn man nicht genügend Selbstvertrauen hat, glaubt man den eigenen Ideen nicht oder schätzt seine Stellung pessimistisch ein.“, so der ehemalige WM-Kandidat Artur Jussupow, der 1994 als Sekundant für Viswanathan Anand im WM-Kampf gegen Garri Kasparow arbeitete, in einem Interviews mit der Zeitung DER TAGESSPIEGEL [14. November 2014, Seite 23].

Dass der Zweikampf in dieser Hinsicht in Sotschi ausgeglichener gewesen ist, belegt die Tatsache, dass Anand nach der Niederlage in der zweiten Partie, in der der Weltmeister seine ganz Klasse demonstrierte, nach dem folgenden Ruhetag sofort zurück schlug – und das sehr überzeugend!

Ein Knackpunkt könnte allerdings die sechste Partie gewesen. Bis dahin stand es 2,5:2,5, und Carlsen hatte das Match nicht dominiert. Innerhalb von 122 Sekunden geschah in der folgenden Stellung nach dem 25. Zug Unbegreifliches:

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       Stellung nach 25…Tdg8

Carlsen zog nun fast á tempo 26.Kd2? „Dieser unglaubliche Fehler erlaubte Anand den taktischen Trick 26…Sxe5 mit der Idee 27.Txg8 Sxc4+ – Zwischenschach! Nach 28.Kd3 Sb2+ 29.Kd2 schlägt Schwarz auf g8 wieder und hat bei der gesamten Abwicklung zwei Mehrbauern gewonnen und dementsprechend hervorragende Gewinnchancen. Doch Anand spielte zu schnell und vergab diese Riesenchance mit 26…a4?,“ so Großmeister Niclas Huschenbeth in seiner Analyse für den Schach-Ticker.

In der anschließenden Pressekonferenz wird Anand diesen vielleicht WM-entscheidenden Moment wie folgt kommentieren: „Wenn man kein Geschenk erwartet, schaut man nicht danach.“ Er hat einfach den falschen Plan gefasst und verliert ohne großen Gegenwehr, womit Carlsen zur Halbzeit 3,5:2,5 führt.

Auch fortan ist der Wettkampf alles andere als einseitig, denn der Herausforderer gibt sich wirklich kämpferisch in seiner Partieanlage mit Weiß, wo er stets mit 1.d4 beginnt, während Carlsen alle seine sechs Begegnungen als Anziehender mit dem Doppelschritt des Königsbauern eröffnet.

Zwei für mich entscheidende Sätze für den Ausgang des WM-Matches aus den Kommentaren von Niclas lauten:

  • Anand hat es Carlsen zu einfach gemacht, weil er den Druck nicht aufrecht erhält
  • Wenn man kein Risiko eingeht, kann man auch nicht gewinnen!

Was schließlich die finale Partie angeht, so habe ich den Eindruck – allerdings nur aus der Ferne – das der Herausforderer das Match dann einfach hinter sich bringen wollte, anders kann ich mir jedenfalls nicht erklären, warum er in der folgenden Stellung nach 27.Ke4 mit 27…Tb4 die Qualität geopfert hat…

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Stellung nach 27.Ke4

Dass sich danach Chancen für vielversprechendes Gegenspiel ergeben, ist zumindest für mich beim besten Willen nicht zu sehen.

Natürlich steht es mir nicht zu, dem Exweltmeister gut gemeinte Ratschläge zu geben – im Nachhinein ist das sowieso sinnlos. Aber seine Taktik, es in dieser vorletzten regulären Runde auf Biegen und Brechen zu versuchen, halte ich doch für eine eher falsche Entscheidung. Ein Remis, um danach durch einen Sieg in der finalen Begegnung doch noch auszugleichen wäre die vielleicht bessere Alternative gewesen.

Weltmeister Magnus Carlsen hat also seinen Titel verteidigen können, und ganz sicherlich mit dem dafür auch notwendigen Glück, dass er sich in den letzten Jahren unbestritten erarbeitet hat.

Eine Anmerkung sei mir allerdings noch gestattet. Immer wieder wird der Norweger als „Mozart des Schachs“ bezeichnet. Ich finde das allerdings eher peinlich und wenn man den Mann, der das Copyright dafür besitzt, fragen würde, hätte der diesen Ausspruch vergessen gemacht. Er stammt übrigens vom 24. Januar 2004 – da war Magnus 13 und hatte gerade seinen ersten aufseherregenden Auftritt in der Gruppe C des traditionellen Schachfestivals in Wijk aan Zee hinter sich. Er kam nämlich zu einem überragenden Sieg mit 10,5/13 und erzielte seine erste Großmeisternorm. Das ist der Grund, warum ihn Lubomir Kavalek in seiner damaligen Schachkolumne für die Washington Post als „Mozart des Schach“ zurecht feierte…

In unserer Rubrik Schach-WM – Die Analyse, für die wir uns bei Niclas Huschenbeth recht herzlich sicherlich auch in Ihrem Namen bedanken möchten, hatten wir angekündigt, dass der mit 18-Jahren jüngste Deutsche Einzelmeister aller Zeiten zum Abschluss seine WM-„Masterpartie“ exklusiv für www.schach-ticker.de kommentieren wird. Hier ist sein abschließender Beitrag!