25/11/2013

Ein Plädoyer für den Wald in Schleswig-Holstein


Medien-Information

20. November 2013

„Wir brauchen mehr Qualität für unsere Wälder“  - Rede von Umweltminister Robert Habeck anlässlich einer Landtagsdebatte am 20. November 2013

Sperrfrist: Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,
der Orkan Christian hat rund 500.000 Kubikmeter Holz umgerissen – wie Streichhölzer sind bis zu 100-jährige Bäume einfach umgeknickt. Es sind so viele Bäume verloren gegangen wie sonst in einem Jahr in Schleswig-Holstein geschlagen werden.  In einzelnen Regionen ist die Zerstörung noch viel größer. Im Norden des Landes sind vier oder gar fünf Jahreseinschläge dem Sturm zum Opfer gefallen. Christian hat das getan, was wir nie wieder machen wollten: Kahlschläge.

Jahrelange Arbeit ist so zunichte gemacht worden. Auf den rasierten Flächen wird es schwerer, den Wald naturnah umzubauen - der Witterungsschutz der alten Bestände fehlt. Es wird viele Jahrzehnte dauern, bis dort, wo nun nur noch abgeknickte Baumstämme stehen, wieder richtiger Wald sein wird. Die Wiederaufforstung wird in den kommenden Jahren eine zentrale Aufgabe sein.

Nach Christian heißt, die Waldpolitik der nächsten Jahre neu zu eichen.
Bringt man es auf einen Nenner, dann lautet dieser: Qualität statt Quantität.

1.            Wir wollen mehr Qualität für unsere Wälder, damit sie den Folgen des  Klimawandels besser standhalten. Mehr Laubbäume, mehr heimische Baumarten. Dafür verdoppeln wir den Ansatz für Waldumbau in der kommenden ELER-Förderperiode (Fördermittel für den ländlichen Raum) auf 5 Millionen Euro. Die notwendigen Umbaumaßnahmen nach Sturmschäden können damit unterstützt werden.
1.            Wir wollen mehr Naturnähe in unseren Wäldern. Als Lebensraum für Tiere und Pflanzen soll der Naturwaldanteil erhöht werden. Damit steigt die ökologische Qualität unserer Wälder. Die Vorbereitungen hierfür laufen.  Wir werden – nach der Beschlussfassung des Landtags heute – durchstarten und ein verbindliches Handlungskonzept zur Erhöhung des Naturwaldanteils in Schleswig-Holstein erarbeiten.
2.            Wir wollen mit der Jagdzeitenverordnung die Ruhezeit  für die Tiere im Wald erhöhen. Die Auswertung der Anhörung befindet sich im Endstadium. Wir werden Tierarten mit einem ungünstigen Erhaltungszustand künftig  nicht mehr zur Bejagung freigeben. Für die übrigen Wildarten, insbesondere für das Schalenwild, werden wir die Jagdzeiten synchronisieren. Mit Beginn des neuen Jagdjahres, also am 1.4. 2014, werden diese neuen Regeln in Kraft treten.

Meine Damen und Herren,

Schleswig-Holstein ist waldarm: Es ist das waldärmste Bundesland. Das war nicht immer so. Im Mittelalter war noch mehr als die Hälfte des heutigen Schleswig-Holsteins mit Wald bedeckt. Noch im Jahr 1460 war Dithmarschen so dicht bewaldet, dass ein Eichhörnchen von Meldorf bis zur Landesgrenze von Baum zu Baum springen konnte.  Eichen und Buchen waren die dominierenden Baumarten, dazu je nach Standort ein paar Birken. Nadelhölzer wurden erst vor 250 Jahren eingeführt.

Vom Mittelalter an war die Waldgeschichte eine vom Rückgang des Waldes. Schiffsbau, Landwirtschaft, Köhlerei, Deichbau, Kriegszerstörungen und Straßen- bzw. Siedlungsbau – der Mensch sorgte dafür, dass es immer weniger Wald wurde. Dieser Raubbau wurde glücklicherweise gestoppt. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts nimmt der Waldanteil wieder zu. Aber von einem extrem niedrigen Niveau aus und langsam – sehr langsam, auch weil wir in Schleswig-Holstein einen hervorragenden Standort für Ackerbau und Viehwirtschaft haben.

Qualität statt Quantität bedeutet nicht, dass wir die Bemühungen aufgeben, den Neuwaldanteil zu erhöhen. Die Landesregierung möchte mehr Wald. Jeder einzelne Baum, der zusätzlich gepflanzt wird, ist kostbar, und ich freue mich über jede entsprechende Initiative.

Aber wir müssen ehrlich sein: Das  Ziel, dass 12 Prozent der Landesfläche von Wald bedeckt sein sollen, ist ein gutes Ziel und es ist richtig dieses immer wieder anzuvisieren. Aber, in den kommenden Jahrzehnten werden wir es nicht erreichen. Das zuzugeben, heißt nicht, es nicht zu wollen. Es heißt nur, dass man ehrlich damit umgeht.
12 Prozent Waldanteil bedeutet ca. 30.000 Hektar zusätzlichen Wald - jährlich 1000 Hektar jedes Jahr die nächsten 30 Jahre!

Neuwaldbildung findet in aller Regel auf Ackerflächen statt. Ackerflächen kosten
mittlerweile mindestens 30.000 Euro/Hektar, örtlich aber auch noch erheblich mehr. Die Kosten für die Aufforstung betragen ca.  5.000 –  10.000 Euro/Hektar einschl. Kulturpflege. Eine Erhöhung des Waldanteils auf 12 Prozent kostet nach heutigen Preisen also bis zu 1,2 Milliarden Euro.
Es gab in den letzten 20 Jahren ein einziges Jahr, in dem die Waldfläche  um 1000 Hektar zunahm. Es war das Jahr 1993. Seitdem hat es keine Landesregierung geschafft, hier entscheidende Fortschritte zu erreichen.

Der Hauptzuwachs in der Fläche wird durch Kompensationsmaßnahmen entstehen. Eingriffe in den Wald müssen kompensiert werden, der Flächenumfang richtet sich nach Alter bzw. funktionaler Wertigkeit des Waldes. Für die Höchstspannungsleitung Krümmel-Görries wurden insgesamt rund 80 Hektar Wald gerodet und es wurden bzw. werden 240 Hektar Ersatzwald geschaffen. Auch für das vieldiskutierte Projekt in Lütjenholm wurde Ersatz geschaffen, und zwar im Verhältnis 1:1 – hier wächst    zukunftsfähiger Mischwald. Ausgleich von Eingriffen ist in unser aller Interesse.

Meine Damen und Herren,

der Wald ist für uns Rückzugs- und Kontemplationsraum, er ist Imaginationsraum und Sehnsuchtsort.

Und, der Wald hat einen enormen ökologischen Wert: Der Wald und vor allem auch der Waldboden ist ein höchst effizienter CO2-Speicher. 10-20 Tonnen CO2/pro Jahr/pro Hektar speichert Wald. Nach der Kohlenstoffstudie Forst und Holz 2012 banden die Wälder in Schleswig-Holstein 2002 rund 47 Millionen Tonnen Kohlenstoff.
Wir brauchen den Wald, wir brauchen ihn: als kostbaren Lebensraum für Arten, als wunderbaren Erholungsraum für Menschen,als Schützer des Klimas und natürlich als Lieferanten des wertvollen und nachhaltig erzeugten Rohstoffes Holz.

Und deswegen möchte diese Landesregierung den Wald bewahren, stark machen – und ja – sie will auch mehr Wald.

Der Wald ist ein besonderer Ort. Er verdient besondere politische Unterstützung. Über die breite Bereitschaft, die zu gewährleisten, wie heute vorgetragen wurde, freue ich mich.