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Ein fulminantes Fest des Protests mit 1,4 Millionen Bürger*innen –
und trotzdem versagt die Regierung beim Klimaschutz. Was bedeutet das jetzt für
uns als Klima-Bewegung? Campact-Vorstand Christoph Bautz möchte Ihnen Einblick
in die Diskussion bei Campact geben – und hat dafür erste Antworten formuliert.
Warum wir Neuwahlen brauchen – und wie wir sie durchsetzen. Wieso die Grünen es
alleine auch nicht bringen. Und wie wir eine Wahl jetzt zur Klimawahl machen,
die kaum einer auf dem Zettel hat. |
Hallo Manfred Paukstadt,
das war’s überhaupt nicht. Ein „Dokument der Mutlosigkeit“[1] nennt der renommierte Klimaforscher und
Merkel-Berater Ottmar Edenhofer das Klimapaket der Regierung. Und in dieser
vernichtenden Einschätzung sind sich Klimawissenschaftler*innen, das Gros der
Medienlandschaft und die Mehrheit der Bevölkerung einig. Denn: Nach Berechnungen
der Analysten von Agora Energiewende erbringt das Sammelsurium an Maßnahmen nur
ein Drittel der CO2-Einsparung, die zum Erreichen des 2030-Klimaziels der
Regierung nötig sind.[2]
Bitter ist: Der Beschluss der Regierung fiel zeitgleich zur größten
Demonstration, die dieses Land jemals gesehen hat. Viele
Campact-Unterstützer*innen fragen uns jetzt, was wir denn noch tun können, wenn
nicht einmal 1,4 Millionen Menschen auf den Straßen die Regierung von solchen
fatalen Beschlüssen abhalten konnten. Wir haben die letzten Tage viel
nachgedacht und diskutiert – und einige erste Antworten entwickelt:
- Was hilft jetzt noch, wie können wir konsequenten
Klimaschutz durchsetzen?
- Hinter welchen Forderungen sollten wir uns sammeln?
- Was können wir jetzt ganz konkret tun?
Wir sind sehr gespannt, was Sie, Manfred Paukstadt, denken und freuen uns
darauf, was Sie uns in unserem Campact-Blog im Kommentar-Bereich schreiben. Bitte diskutieren
Sie mit.
1. Was jetzt noch hilft
Eines ist für uns jetzt klar: Mit dieser Regierung wird das nichts mit
konsequentem Klimaschutz. Den bekommen wir nur, indem wir dafür sorgen, dass die
GroKo abtritt – und den Platz frei macht für eine Regierung, die beim
Klimaschutz ernst macht. Denn die Klimaforschung sagt uns knallhart: Wenn wir
verhindern wollen, dass die Welt sich über die kritische 1,5-Grad-Schwelle
erhitzt, hinter der eine sich selbst beschleunigende Klimakatastrophe droht,
dann dürfen wir weltweit nur noch 420 Gigatonnen CO2 ausstoßen.[3] Bleiben die CO2-Emissionen auf dem
derzeitigen Niveau, ist unser gesamtes verbleibendes Budget schon in zehn Jahren
verbraucht.
Sprich, die Zeit rennt. Zwei weitere Jahre Stillstand beim Klimaschutz können
wir uns nicht erlauben. Doch in der Union verhindert der Wirtschaftsflügel
wirksame Klimapolitik. Die SPD ist offenbar zu schwach, sich gegen diesen
Widerstand durchzusetzen. Und beide eint die große Angst, dass Klimaschutz den
Klimaleugner*innen von der AfD Wähler*innen zutreiben könnte. In den
monatelangen Verhandlungen zum Klimapaket ist es nicht gelungen, diese Blockade
zu durchbrechen – wieso sollte sich das in den nächsten beiden Jahren ändern?
Zumal die Spitzen beider Parteien ihr Versagen auch noch zu bejubeln
scheinen.[4][5]
Mit der Forderung nach einem Ende der Großen Koalition nehmen wir den derzeit
gewichtigsten SPD-Politiker beim Wort: Vizekanzler Olaf Scholz. Noch Anfang des
Monats verkündete er: „Ein Klein-Klein in der Klimapolitik hilft nicht weiter.
[...] Wir brauchen einen großen Wurf, wenn wir als Regierung weiter eine
Berechtigung haben wollen, das Land zu führen.“[6] Nun ist „Klein-Klein“ für das Klimapaket
sogar noch eine beschönigende Beschreibung: Mit der Erhöhung der
Pendlerpauschale oder mit neuen bundeseinheitlichen Hürden für den Ausbau der
Windkraft bremst es den Klimaschutz sogar aus.
Ob die Groko hält oder fällt: Das entscheidet sich am 7. und 8. Dezember.
Dann kommt die SPD in Berlin zum Bundesparteitag zusammen. Und zieht ihre
Halbzeitbilanz für Schwarz-Rot. Die Spitzen der Partei und auch viele
Abgeordneten klammern sich an die GroKo, da sie angesichts desolater
Umfragewerte um ihre Posten zu fürchten scheinen. Vermutlich klammern sie sich
an die Hoffnung, irgendwie bis zur regulären Wahl 2021 aus dem Tal der Tränen
herauszufinden. Doch die Stimmung in der Partei ist miserabel. Bei vielen
Delegierten könnte sich die Einschätzung durchsetzen: Die GroKo stellt eine
existentielle Gefahr für die Sozialdemokratie im Land dar. Gemeinsam müssen sie
ihr den Stecker ziehen.
Denn eine ganze Generation droht der SPD verloren zu gehen: Schon über die
Zustimmung der SPD zu Upload-Filtern waren viele junge Menschen
empört.[7] Mit dem Klimapaket und
dem hilflosen Versuch der regierenden SPD-Politiker*innen, eine Niederlage als
Erfolg zu verkaufen, verspielt sie ihre letzte Glaubwürdigkeit. Für die Jugend
entwickelt sich die SPD immer mehr zum Feindbild, aber keinesfalls zur wählbaren
Option. Und auch die älteren Semester wenden sich scharenweise ab.
Wann sollten wir in einer parlamentarischen Demokratie den Ausweg vorgezogene
Neuwahlen nehmen? Nur in sehr gewichtigen Ausnahmefällen. Wenn eine Regierung
völlig den gesellschaftlichen Rückhalt verliert, wenn sie eine gesellschaftliche
Grundstimmung überhaupt nicht mehr repräsentiert. Wie derzeit bei Schwarz-Rot:
Klimapolitik ist endlich das alles beherrschende Thema. Rangierte sie in der
Wichtigkeit der Themen zur letzten Bundestagswahl noch auf Platz 7, ist sie seit
Monaten einsame Spitze.[8][9] Eine Regierung, die dem überhaupt nicht
gerecht wird, muss Platz machen.
Bloß für wen? Für eine Regierung, die nach einer Klimawahl ihr Amt antritt
und Klimaschutz den richtigen Stellenwert gibt – als die zentrale und
existentielle Menschheitsaufgabe des nächsten Jahrzehnts. Dreh- und Angelpunkt
einer solchen Regierung wären nach Lage der Dinge die Grünen. Schwarz-Grün,
Jamaika oder Grün-Rot-Rot – keine der nach Umfragen denkbare Regierungsmehrheit
jenseits der GroKo kommt ohne die Grünen aus. Sie müssen die Lösung der
Klimakrise zur zentralen Aufgabe einer wie auch immer zusammengesetzten
Koalition machen.
Doch eine Gleichung geht nicht auf: Grüne an die Macht – und dann ist alles
gut. Denn dazu müssen sich auch die Grünen erst noch der Dimension der Aufgabe
stellen. Bisher schrecken sie zurück, die Begrenzung der Klimaerhitzung unter
der kritischen 1,5-Grad-Schwelle zum Maßstab ihrer Politik zu machen.[10] Und genau die Einhaltung dieses Limits
stellte ihr Wahlprogramm zur letzten Bundestagswahl bei Weitem nicht
sicher.
Zudem droht bei einer Koalition der Grünen mit CDU/CSU oder FDP die zweite
zentrale Säule von Klimapolitik unter die Räder zu kommen: für den sozialen
Ausgleich zu sorgen. Denn nur, wenn es auch sozial gerechter im Land zugeht und
soziale Härten für die Schwächsten verhindert werden, wird eine ambitionierte
Klimapolitik auf den notwendigen gesellschaftlichen Rückhalt treffen.
Sollten wir die Auseinandersetzung, ob die SPD die GroKo verlässt, gewinnen,
müssen als nächstes die Grünen in unserem Fokus stehen. Damit sie Klimapolitik
auch auf einem Ambitionsniveau durchsetzen wollen, dass der Dramatik der
Klimakrise angemessen ist. Und dabei die soziale Frage neben der ökologischen
nicht aus dem Auge verlieren. Dafür müssen wir die Grünen treiben – sie aber
auch immer wieder unterstützen, wenn sie den Gegenwind von Auto- und
Energiekonzernen abbekommen. Denn deren Widerstand gegen konsequente
Klimapolitik wird massiv sein.
Die SPD zum Verlassen der GroKo bringen, die Grünen zu echtem Klimaschutz
antreiben, der Macht der großen Konzerne widerstehen – all das wird nur mit
einer lebendigen und breit verankerte Klimabewegung gelingen. Wie kraftvoll sie
ist, in welch neue Dimension sie vorgedrungen ist – das haben wir am Freitag
letzter Woche alle gemeinsam an Hunderten Orten unter Beweis gestellt. Darauf
können wir stolz sein. Und darauf können wir bauen.
2. Hinter welchen Forderungen sollten wir uns
sammeln?
Das Klimapaket zeigt, wie wir Klimaschutz nicht angehen sollten. Es nimmt vor
allem sehr viel Geld in die Hand, um Bürger*innen und Wirtschaft Anreize für
klimafreundliches Verhalten zu geben. Das alleine ist teuer, ineffizient und
schickt ein fatales Zeichen an die Welt: Klimaschutz, das geht nur mit viel
Geld. Wenn Ihr das nicht habt, könnt Ihr es lassen.
Dabei brauchen wir für ambitionierten Klimaschutz nicht nur Geld. Eine gut
aufeinander abgestimmte und sich gegenseitig verstärkende Mischung von Geboten
und Verboten, Marktanreizen und Steuern, Subventionen und Kürzungen. Die
folgenden Aspekte erscheinen uns dabei entscheidend zu sein:
- Harte Verbote? Na klar!
Spätestens seit der Debatte um
den Vorschlag der Grünen für einen Veggie-Day und den Erfolgen der AfD schrecken
CDU/CSU und SPD vor dem wichtigsten Klimaschutz-Instrument zurück: Verbote.
Dabei sind sie ja nichts anderes als das: klare Regeln. Sie würden zwar auch
den*die Einzelne*n, aber vor allem die großen Unternehmen treffen: Etwa die
Kohlekonzerne, die in Deutschland soviel CO2 erzeugen wie in keinem anderen
europäischen Land.[11] Und die
Autoindustrie, die uns immer PS-stärkere und klimaschädlichere Spritschlucker
und SUVs andrehen will. Wenn überhaupt, findet man im Klimapaket der
Regierung daher nur Verbote, die zeitlich sehr weit entfernt liegen. 2026 soll
der Einbau neuer Ölheizungen verboten werden. Und dort, wo man schnell am
meisten CO2 einsparen könnte – bei der Kohlekraft –, soll erst 2038 Schluss
sein. Dabei hätten Regeln ganz entscheidende Vorteile: Sie kosten den Staat
nichts. Sie sind schnell umzusetzen. Und sie geben der Wirtschaft einen klaren
Orientierungsrahmen, wann in welchem Sektor mit dem Verbrennen von Kohle, Öl und
Gas Schluss ist. Welche Regeln wir bräuchten, um das 1,5-Grad-Limit nicht zu
überschreiten? Werden wir konkret: 2020 muss Schluss sein mit neuen Ölheizungen,
dicht gefolgt von Gasheizungen.[12] Nach 2025 dürfen keine PKW mit
Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden.[13] Und allerspätestens 2030 geht der
letzte Kohlemeiler vom Netz.[12]
Für alle Wirtschaftsunternehmen wäre klar: Ab dann gibt es nur noch einen Markt
für Wärmepumpen und Solarthermie, für Elektroautos, neue Züge und Busse, für
Windräder und Solaranlagen. Und der wird weit größer sein, als er heute ist.
Damit haben Unternehmen in diesen Bereichen weit mehr Anreiz für zukunftsfähige
Investitionen als jedes teure Förderprogramm erzielen kann. Das ist die Macht
klarer Regeln.
- Geldhähne öffnen – und zudrehenDie große Transformation
weg von Kohle, Öl und Gas, hin zu 100 Prozent Erneuerbaren Energien in den
nächsten 15 bis 20 Jahren schaffen – dafür brauchen wir natürlich auch Geld und
Anreize. Denn wir benötigen massive Investitionen in neue Stromnetze und
-speicher, in eine moderne Infrastruktur für Fahrrad, Bahn und Bus, in die
energetische Sanierung von Gebäuden. Das ist gut angelegtes Geld, das Millionen
neuer Arbeitsplätze entstehen und die Wirtschaft pulsieren lassen kann. Das
Klimapaket sieht hier immerhin einige sinnvolle Investitionen vor: Der Ausbau
von Radschnellwegen und zusätzliche 86 Milliarden Euro für die Modernisierung
der Bahn bis 2030. Die Installierung von einer Million Ladepunkte für
Elektroautos und das Förderprogramm „Energetische Stadtsanierung“.
Aber
eines macht überhaupt keinen Sinn: Gleichzeitig mit noch weit mehr Geld
klimaschädliches Wirtschaften zu subventionieren – etwa mit der steuerlichen
Begünstigung von Kerosin und Diesel und dem Dienstwagen-Privileg. Würden diese
Subventionen abgeschafft, brächte das dem Staat sogar Geld ein. Doch der Blick
ins Klimapaket zeigt: Fehlanzeige.
- Ja zum CO2-Preis – aber wenn, dann richtig
Auch wenn der
CO2-Preis alleine nicht das Allheilmittel ist, wie ihn Merkels Chef-Klimaberater
Edenhofer gerne präsentiert: Die Idee, dem Ausstoß von CO2 einen Preis zu geben,
ist überzeugend. Damit müssen endlich diejenigen für die gesellschaftlichen
Folgekosten zahlen, die das Klima zerstören. Und klimafreundliches Verhalten
wird belohnt. Doch das funktioniert nur, wenn der Preis stimmt und unser
Verhalten lenkt. Wenn die Regierung jetzt einen CO2-Preis von 10 Euro pro
Tonne CO2 im Verkehrs- und Wärmesektor einführen und diesen Preis bis 2025 auf
maximal 35 Euro ansteigen lassen will – dann ist dies nicht mehr als ein
schlechter Scherz. 10 Euro pro Tonne – das entspricht 3 Cent mehr für einen
Liter Benzin an der Tankstelle.[14] In diesem Bereich schwankt der Preis
häufig an einem einzigen Tag. Expert*innen sagen uns: Im Verkehrs- und
Wärmebereich entstehen Anreize für klimafreundliches Verhalten und Investitionen
in eine andere Infrastruktur ab einem Preis jenseits von 100
Euro/Tonne.[15] Das ist das
Zehnfache von dem, was die Luftnummer der Regierung vorsieht.
- Klimaschutz braucht sozialen Ausgleich
Klimaschutz darf
die soziale Ungleichheit im Land nicht weiter befeuern. Wenn der Weg zur Arbeit
für Menschen mit geringem Einkommen noch teurer wird, die Reichen aber weiter
mit dem SUV das Klima verpesten dürfen, weil sie es sich leisten können,
verliert der Klimaschutz viele seiner Unterstützer*innen.
In ihrem
Klimapaket geht die GroKo diese Frage aber genau falsch herum an: Sie erhöht die
Pendlerpauschale – den Steuerbonus, den Menschen mit Arbeitswegen von mehr als
20 Kilometern erhalten. Was erstmal plausibel klingt, hat einen entscheidenden
Haken: Von einer höheren Pendlerpauschale profitieren nämlich nur diejenigen,
die überhaupt Einkommensteuer bezahlen. Und besonders hoch ist die Ersparnis für
jene, die mehr Steuern zahlen, weil sie mehr verdienen. Unter dem Strich heißt
das: Gerade reiche Vielfahrer*innen entlastet die GroKo besonders.[17]
Dabei ließe sich leicht
verhindern, dass ein CO2-Preis soziale Ungleichheit erhöht. Die Schweiz gibt
ihre Einnahmen aus dem CO2-Preis an jede*n Eidgenoss*in in gleicher Höhe zurück.
Sozial Benachteiligte haben dadurch zumeist mehr in der Tasche, wohingegen
Reiche, die in der Regel deutlich mehr CO2 verursachen, überdurchschnittlich
belastet werden. Entsprechend liegt der CO2-Preis in unserem Nachbarland bei
derzeit 96 Schweizer Franken (ca. 88 Euro)[17] – und beginnt so zu wirken. Klar ist
aber auch: Klimaschutz allein kann soziale Ungleichheiten nicht beseitigen.
Damit der ökologische Umbau gelingt, braucht es auch einen sozialen Umbau: mit
höheren Steuern für Reiche, guter Absicherung für Arbeitslose oder gut
ausgebauter öffentlicher Infrastruktur. Wer Angst haben muss, auf dem Land
abgehängt zu werden oder bei Arbeitslosigkeit in Armut abzurutschen, wird sich
auf konsequenten Klimaschutz kaum einlassen können.
- Ohne Erneuerbare funktioniert nichts
Der Umstieg auf
mehr Züge, Elektro-Mobilität und Wärmepumpen – all das benötigt Strom. Aber ein
Fortschritt für den Klimaschutz wird nur daraus, wenn dieser Strom auch aus
regenerativen und nicht aus fossilen Quellen stammt. Doch so erfolgreich der
Ausbau der Erneuerbaren Energien bisher verlief – derzeit steckt er bei einem
Anteil von um die 37 Prozent an der Stromerzeugung fest.[18] Der Grund: Der Ausbaudeckel der
Photovoltaik, der Ausschreibungszwang bei neuen Windkraft-Projekten und völlig
überzogene Abstandsregeln von neuen Windanlagen zur Wohnbebauung. Im ersten
Halbjahr gingen bundesweit netto gerade einmal 35 neue Windräder ans
Netz.[19] Das Klimapaket der
Regierung beseitigt jetzt immerhin den unsinnigen Solar-Ausbaudeckel. Doch beim
Wind macht es alles noch schlimmer: Bundeseinheitlich sollen jetzt 1.000 Meter
Abstand von Windrädern zu Häusern gelten. Außer in Bayern: Dort lässt die CSU
ihre noch schärfere Regelung gelten. Zwar können andere Bundesländer beim
Abstand auch nach unten gehen, aber das Signal ist fatal. Deshalb befürchten die
Analysten von Aurora Energy, dass die Regierung mit ihren Beschlüssen ihr Ziel
krachend verfehlt, bis 2030 die Erneuerbaren auf 65 Prozent Anteil am Strommix
auszubauen. Sie rechnen mit maximal 52 Prozent.[20]
Was es braucht? Einen klaren
Plan, wie der Ausbau der Windkraft wieder vorangebracht wird und zugleich
Akzeptanz in den Regionen findet. Der Deckel beim Ausbau der Windenergie, der
Ausschreibungszwang bei Wind Onshore und überzogene pauschale Abstandsregelungen
von Windanlagen müssen hierfür aufgehoben und der Netzausbau beschleunigt
werden.[12] Die Menschen vor Ort in Standort- und Anrainerkommunen müssen vom
Ausbau zudem mehr profitieren.[21] Denn nur, wenn wir weit mehr als 65
Prozent Erneuerbare in 2030 erreichen, werden wir das 1,5 Grad-Ziel noch
einhalten können.
- Klimaschutz als Chance begreifen
Klimaschutz fasst die
GroKo leider nur mit spitzen Fingern an. Anscheinend hofft sie, mit
vorgetäuschtem Handeln Teile der Bevölkerung zu beruhigen und gleichzeitig ja
niemandem auf die Füße zu treten. Die Angst, frustrierte Wähler*innen an die AfD
zu verlieren, ist groß. Und es stimmt ja auch: Klimaschutz lässt sich nicht so
gestalten, dass alle Menschen begeistert zustimmen. Manche Unternehmen werden
weniger verdienen – und wir alle müssen Verhaltensweisen ändern.
Doch
eines ist die Grundvoraussetzung für eine große, gesellschaftliche
Transformation, die Ökologie und Soziales miteinander verbindet. Dass wir sie
nicht so ängstlich, verdruckst und halbherzig angehen wie Union und SPD, sondern
ihre enormen Chancen begreifen – und sie entsprechend auch kommunizieren. Sie
kann zu einem gesellschaftlichen Aufbruch werden, der viele Menschen begeistert.
Sie kann uns hinter einer Vision einer anderen Gesellschaft vereinen, sie kann
Millionen gute Arbeitsplätze und eine moderne Infrastruktur schaffen. So
entsteht für alle ein besseres Leben, und unser Land – wie zu Beginn der
Energiewende – wird international zum Vorbild.
3. Was können wir jetzt ganz konkret tun?
Die GroKo abtreten lassen. Eine vorgezogene Bundestagswahl zur Klimawahl
machen. Und dann mit ambitionierten Grünen an der Regierung und einer
Klimabewegung auf den Straßen die sozial-ökologische Transformation durchsetzen
– das klingt doch nach einem Plan. Doch machen wir uns nichts vor: Dafür muss
einiges zusammenkommen und gelingen. Und wir müssen alle gemeinsam an den
richtigen Stellen ansetzen. Wie wir das schaffen? Hier unsere Ideen:
- Die SPD überall mit ihrem Versagen beim Klimaschutz
konfrontieren
Die SPD ist derzeit auf Tour. Besser gesagt: ihre
Kandidatenpaare für den Vorsitz der Partei. An insgesamt 23 Orten treten sie bei
Regionalkonferenzen auf – bevor ihre 440.000 Mitglieder entscheiden. Doch der
letzte Auftritt der Kandidat*innen im badischen Ettlingen lief so ganz anders
ab: 400 Campact-Unterstützer*innen und Fridays for Future-Schüler*innen warteten
am Eingang der Veranstaltung. Sie trugen die Debatte genau zu dem, der das
klägliche Klimapaket maßgeblich zu verantworten hat und noch kurz zuvor große
Töne spuckte: Olaf Scholz. Bei vielen SPD-Mitgliedern traf der Protest auf
großes Verständnis, einige schenkten Schüler*innen sogar ihre Eintrittskarten,
damit sie ihre Kritik drinnen direkt an Scholz adressieren konnten. Was sie auch
taten. Die Debatte um das Klimapaket – sie wurde zum bestimmenden Thema des
Abends.
Was wir daraus mitnehmen: Lasst uns hunderte Ettlingens im
ganzen Land entstehen lassen! Die Idee: Bei weiteren Regionalkonferenzen der SPD
und möglichst vielen Partei- und Abgeordneten-Büros tragen
Campact-Unterstützer*innen die Debatte über das Klimapaket vor die Tür. Überall
adressieren wir erst die Mitglieder der Partei. Sie entscheiden darüber, welches
Kandidatenpaar die SPD künftig führt. Eines, das alles beim Alten lässt – wie
Scholz und Klara Geywitz. Oder eines, das die SPD endlich aus der GroKo führt
und den Weg zu Neuwahlen ebnet – wie Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken
oder Karl Lauterbach und Nina Scheer. Direkt vor dem Parteitag fokussieren wir
uns dann auf die Delegierten des Parteitags und fordern: Macht den Weg frei für
echten Klimaschutz. Wenn überall im Land Tausende Bürger*innen ihre
Enttäuschung über das Klimapaket den Sozialdemokrat*innen mitteilen und für
Neuwahlen werben, wird das seine Wirkung nicht verfehlen. Vielen
SPD-Anhänger*innen werden sie aus dem Herzen sprechen.
- Der 29.11. wird zum nächsten großen StreiktagNoch
stehen die Details nicht, aber schon jetzt ist klar. Am Freitag, den 29.
November geht es wieder raus auf die Straße, zusammen mit den Schüler*innen,
alle gemeinsam. Der Termin liegt richtig: Am 1. Dezember beginnt in Chile die
Weltklimakonferenz, und alle Aufmerksamkeit der Medien wird auf dem Klimathema
liegen. Und ein Wochenende später, am 7. und 8. Dezember, zieht die SPD auf
ihrem Parteitag in Berlin Halbzeitbilanz über die GroKo. Neuwahlen oder weiter
so? Das wird entschieden. Und wenn die Große Koalition bis dahin nicht ein ganz
neues, echtes Klimapaket präsentiert hat, werden wir sagen: #Neuwahlen. Wieder
mit Hunderttausenden. Überall im Land. Aber mit neuem Demokonzept. Wie das
aussieht? Lassen Sie sich überraschen und seien Sie dabei!
- Die Klimawahl steigt – in HamburgSie ist die erste und
einzige Landtagswahl im neuen Jahr. Die Wahl in der Hansestadt an Elbe und
Alster. Und wir wollen sie zur Klimawahl machen. Denn bisher scheuen SPD und
CDU/CSU ambitionierten Klimaschutz auch aus der Angst, Stimmen an die AfD zu
verlieren. Doch ihr Kalkül könnte bald ganz anders aussehen, wenn sie merken:
Wir verlieren Stimmen nicht wegen zuviel Klimaschutz, sondern wegen zu wenig.
Deswegen wollen wir alle Hanseaten auffordern: Wählt nicht die
rechtsextremen Klimaleugner*innen von der AfD. Gebt nicht Eure Stimme den
Klimaversager*innen von CDU und SPD. Macht Euer Kreuz bei Parteien, die für
Klimaschutz eintreten. Wie wir die Hamburger*innen erreichen? Mit Hilfe der
70.192 Menschen, die Campact in Hamburg unterstützen. Und die wir dazu einladen,
Hunderttausende Türhänger und Flugblätter zu verteilen, Großplakate zu
finanzieren, an den Wahlkampfständen von CDU und SPD über Klima zu diskutieren –
das volle Kampagnen-Programm. Für Unruhe im Willy-Brandt-Haus und im
Konrad-Adenauer-Haus ist gesorgt – vielleicht schon durch diese Zeilen.
Sie sehen, wir haben uns einige Gedanken gemacht und überlegt, was wir jetzt
alle gemeinsam tun können. Doch bevor wir loslegen, wollen wir wissen, was Sie
über unsere Analyse denken und von unseren Plänen halten. Schauen Sie, was
andere Campact-Unterstützer*innen bereits in den Kommentar-Bereich im
Campact-Blog geschrieben haben – und diskutieren Sie
mit! |
Es grüßt Sie ganz herzlich
Ihr Christoph Bautz, Campact-Vorstand
[1] „Klimaökonom
Edenhofer: ‘Paket ist Dokument der Mutlosigkeit’“, Handelsblatt, 21. September
2019 [2] „Berliner Klimapaket wird doppelt teuer – Heftige Kritik an
CO2-Preispfad“, Frankfurter Rundschau, 23. September 2019 [3] „So schnell
ticket die CO2-Uhr“, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate
Change [4] Tweet von Olaf Scholz (@olafscholz), 21. September 2019,
11:35 [5] Tweet von Markus Söder (@Markus_Soeder), 20. September 2019,
14:05 [6] „Scholz erklärt Klimapolitik zur Koalitionsfrage“, Spiegel Online,
2. September 2019 [7] „Die GroKo und die Angst vor jungen Wählern“, ZDF, 3.
März 2019 [8] „ARD-DeutschlandTREND September 2017 II“, tagesschau.de,
September 2017 [9] „Klimawandel ist für die meisten Deutschen das größte
Problem“, Zeit Online, 19. August 2019 [10] „Der Schein trägt“, Zeit
Online, 7. August 2019 [11] „Treibhausgas-Emissionen in der Europäischen
Union“, Umweltbundesamt, 6. September 2019 [12] „Regierungsbildung als neue
Chance für den Klimaschutz“, Klima-Allianz Deutschland, Oktober 2017 [13]
„Verkehrswende für Deutschland“, Greenpeace e.V., August 2017 [14] „Das
steht im Klimaprogramm der Koalition“, Zeit Online, 20. September 2019 [15]
„CO2-Preis jenseits der Leerformel“, Tagesspiegel Background, 30. Mai
2019 [16] Tweet von Brigitte Knopf (@brigitteknopf), 25. September 2019,
6:33 [17] „Lenkungsabgabe auf CO2“, Eidgenössische Zollverwaltung [18]
„Erneuerbare Energien in Zahlen“, Umweltbundesamt, 15. März 2019 [19] „Nur
35 Windräder mehr – in sechs Monaten“, Spiegel Online, 25. Juli 2019 [20]
„Mit Klimapaket nur 52 Prozent Erneuerbare bis 2030“, Tagesspiegel Background
Energie & Klima, 26. September 2019 [21] „Zehn Punkte für den Ausbau der
Windenergie“, BDEW, BWE u.a. , 3. September
2019
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