Umweltminister Robert Habeck (Grüne) hat Dr. Holger Gerth für weitere fünf Jahre zum Landesbeauftragten für Naturschutz berufen. Gerth hat vor dem Ruhestand die Abteilung Umwelt in der Landwirtschaftskammer geleitet und ist seit Langem ehrenamtlich im Naturschutz engagiert.
Kiel. Der 67-jährige
Honorarprofessor aus Ruhwinkel war vor fünf Jahren von der damaligen
Agrarministerin Juliane Rumpf (CDU) erstmals zum
Landesnaturschutzbeauftragten ernannt worden.
Dr. Gerth, Sie stammen selbst von einem Bauernhof. Sie trinken ausschließlich Weidemilch. Warum?
Ich
beobachte, dass dort, wo Kühe auf der Weide stehen, neben dem Gras viel
mehr Pflanzen blühen und Insekten fliegen. Dagegen werden Futterflächen
für Milchkühe, die ausschließlich das ganze Jahr im Stall gehalten
werden, intensiver bewirtschaftet und öfter gemäht. Dort gibt es
deutlich weniger Blühpflanzen, aber auch weniger Wiesenvögel wie Kiebitz
und Uferschnepfe. Wenn wir biologische Vielfalt in der Landschaft
wollen, müssen wir unseren Konsum darauf ausrichten. Hier möchte ich
Vorbild sein.
In
Schleswig-Holstein wird der Nitrat-Grenzwert an jeder zweiten
Grundwasser-Messstelle überschritten. Wie konnte es so weit kommen?
Das
Problem ist, dass in manchen Regionen Landwirte zu viel düngen. Über
Futtermittel oder auch Zukauf von Substraten für Biogasanlagen kommen
viele Nährstoffe zusätzlich auf die Betriebe, die über die Gülle wieder
auf die Felder verteilt werden. Wenn die Pflanzen aber mehr Nährstoffe
zugeführt bekommen, als sie für ihr Wachstum und den Ertrag benötigen,
gelangt der Nährstoffüberschuss in die Gewässer. Bei Stickstoff finden
wir dann Nitrat im Grundwasser.
Was muss sich ändern?
Wir
brauchen erstens dringend eine neue Bundes-Düngeverordnung. Die wird ja
schon seit Jahren verhandelt und jetzt von der EU per Klage von der
Bundesregierung eingefordert. Hier sind Begrenzungen vorgesehen.
Zweitens
ist aber ein anderes Bewusstsein bei Landwirten für den Umgang mit
Dünger notwendig. Denn wer Nährstoffe effizient einsetzt, belastet nicht
die Umwelt und spart zugleich Geld. Wichtig ist auch: Wer als Landwirt
Nährstoffüberschüsse hat, muss diese an jene Landwirte abgeben, die kein
Vieh halten und daher Nährstoffe für ihre Felder benötigen. Das wird
gerade in Schleswig-Holstein organisiert.
Sie sind auch Hobbyimker. Was sagen Sie zu den hohen PA-Werten im Honig?
Dieser
Sommer war überwiegend kalt und nass. Nach der Rapsblüte haben die
Bienen nicht mehr viel Nektar gefunden. Zudem ist unsere Landschaft
ärmer an Blühpflanzen geworden. Nur das Jakobs-Kreuzkraut JKK hat sich
vielerorts wieder durchgesetzt. Für die Bienen, die das JKK sonst
meiden, wurde es zur alternativen Trachtpflanze. Das Ergebnis: Einige
Imker haben hohe Werte an PA, also an Pyrrolizidin-Alkaloiden im Honig.
Das Problem ist aber nicht das JKK, sondern der Fakt, dass in unserer
Kulturlandschaft im Sommer Blühpflanzen fehlen.
Wie gehen Sie damit um?
Bienen
brauchen Trachtpflanzen zum Überleben. Ich habe daher in diesem Jahr
wieder Teile meines Obstgartens gefräst und eine Blühmischung ausgesät.
Die Insektenvielfalt, die ich dort beobachten konnte, war besonders
schön. Auch flogen meine Bienen die Blüten der Brombeeren und der
Herbsthimbeeren intensiv an. Ich habe meinen Sommerhonig untersuchen
lassen. Er ist mit dem Wert 5.9 nur sehr gering belastet ist und kann
unbedenklich gegessen werden kann. Ich hoffe, dass Linde und Weißklee in
den nächsten Jahren wieder gut Nektar und Tautracht liefern. Und dass
viele Imker und Landwirte Blühmischungen aussäen – dann haben wir das
PA-Problem nicht mehr.
Werden die Landflächen immer stärker aufgeteilt: hier die hochindustrialisierte Landwirtschaft – dort Refugien für Naturschutz?
In
der Tat läuft es derzeit darauf hinaus, dass unsere Landschaft in
Bereiche mit intensiver landwirtschaftlicher Produktion von
Lebensmitteln oder Energie aufgeteilt wird. Dort ist für eine Vielfalt
von Pflanzen und Tieren kein Platz mehr. Andererseits finden wir
Bereiche, wo Naturschutz pur gemacht wird, etwa in
Naturschutz-,Vogelschutz- und FFH-Gebieten. Sie sind von immenser
Bedeutung, weil sich dort Biodiversität entwickeln kann. Ich fürchte
aber, dass sich mit den wenigen Rückzugsgebieten der allgemeine
Artenrückgang in unserer Kulturlandschaft nicht aufhalten lässt. Deshalb
brauchen wir Formen der Landwirtschaft, die nicht auf eine Trennung der
Landschaft hinausläuft, sondern beides integriert.
Wie könnte das aussehen?
Landwirte,
die nicht den bisherigen Weg zur Intensivierung, zu größeren Schlägen
und Ställen gehen wollen, sondern die bereit sind, auch auf kleineren
Flächen mehr Kulturen in Folge anzubauen, sollten dafür einen Ausgleich
bekommen. Untersuchungen haben belegt, dass schon durch kleinere
Parzellen mit Kulturvielfalt die Zahl an Ackervögeln wie der Feldlerche
steigt. Dieses sind ökologische Leistungen für die Allgemeinheit.
Deshalb sollten die Landwirte das auch honoriert bekommen - nicht nur im
ökologischen, sondern auch im konventionellen Landbau.
Was sollte der Umweltminister der neuen Regierung nach der Landtagswahl 2017 zuerst anpacken?
Neben
dem Klimaschutz ist die Frage des Artenrückgangs in unserer Landschaft
das wichtigste Thema der Zukunft. Um dort nachhaltig etwas zu erreichen,
müssen die Weichen nicht nur in Kiel gestellt werden, sondern der Hebel
liegt auch in Berlin und Brüssel. Ich werde mich der biologischen
Vielfalt in den nächsten fünf Jahren verstärkt widmen. Dabei hoffe ich
auf eine gute Zusammenarbeit mit dem Umweltminister der neuen Regierung.
Interview: Heike Stüben