Alles kann passieren, einiges ist bereits passiert
… dabei wurden erst fünf Runden gespielt. Während viele Spieler wohl
die traditionelle Bermuda-Party vor dem ersten Ruhetag besuchen (wer hat
Grund zu Feiern? wer hat Grund, sich zu betrinken?), stelle ich mich
der Aufgabe, das bisherige bunte Treiben zusammenzufassen. Den
Untertitel hatte ich bereits vor der fünften Runde
angedacht – und dann fühlten sich die Herren Radjabov, Karjakin,
Ivanchuk, Korobov und Baramidze angesprochen. Die Damen will ich nicht
völlig ignorieren: schöne Grüsse an Mariya Muzychuk und Anna Ushenina!
Bei den Herren ist der Zwischenstand nach fünf Runden noch nicht allzu
aussagekräftig, zumal momentan sieben Teams mit 9:1 Mannschaftspunkten
vorne liegen. Darunter ex-sowjetische Länder: mit Aserbaidschan musste
man vielleicht rechnen, nicht unbedingt mit Kasachstan, Usbekistan und
Georgien. Ebenfalls ganz vorne dabei sind momentan Serbien, Bulgarien
und Kuba. Deutschland spielte schon dreimal unentschieden, liegt damit
(7:3 Punkte) auf dem 25. Platz, immerhin punktgleich mit u.a Ukraine und
USA.
Bei den Damen führt ein Favoritentrio (China, Ungarn und Russland) mit
jeweils noch perfekten 10:0 Mannschaftspunkten. Deutschland verbuchte
drei Siege und zwei Niederlagen (gegen starke Gegner).
Bei den Herren wird wohl eine Serie bis Turnierende halten: in jeder
Runde punkten Spieler aus Baden-Baden. Schliesslich sind sehr viele für
diverse Länder aktiv, es gab auch schon mehrere vereinsinterne Duelle.
Eine Serie eines Baden-Badeners riss jedoch in Runde 5. Aber ich will
den Ereignissen nicht vorausgreifen, sondern berichte nun knapp Runde
für Runde – wobei ich weder auf Partien noch auf das Drumherum
(Interviews usw.) im Detail eingehen kann.
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Runde 1: eigentlich Pflichtaufgaben für die jeweils
stärkeren Teams. Ein Team machte in mehrerlei Hinsicht Schlagzeilen:
Norwegen ist Ausrichter, hat einen Weltklassespieler (der
allerdings, wie fast alle Brett 1 Spieler, in dieser Runde pausierte)
und gewann nur 2,5-1,5 gegen Jemen. Ansonsten sehr oft 4-0, auch bei
Deutschland-Irak (Herren) und Deutschland -Albanien (Damen). Was
Elisabeth Paehtz da zu einem Damenopfer gegen WCM Rozana Gjergji (Elo
1981) motivierte, bleibt ihr Geheimnis: es war wohl völlig inkorrekt,
aber am Ende gewann sie trotzdem. Noch mehr Glück hatte der
Baden-Badener in armenischen Diensten Sergei Movsesian: gegen den
japanischen FM Kojima stand er völlig verloren – der Gegner verpasste
erst ein vierzügiges, dann ein dreizügiges Matt, dann entschied der
schwarze Gegenangriff in wenigen Zügen.
Runde 2: weiterhin klare Ergebnisse, aber nicht mehr
überall. Norwegen machte doppelt Schlagzeilen: Das zweite Team
remisierte gegen Ukraine. Am Spitzenbrett spielte Ivanchuk einen
merkwürdigen Stonewall – das war wohl noch einigermassen OK, aber eine
Abwicklung bei der er zwei Türme gegen die weisse Dame tauschte hat er
völlig falsch eingeschätzt, kurz danach gewann IM Urkedal (Elo 2500)
gegen GM Ivanchuk (2744). Da Eljanov und Korobov jeweils über 200 Punkte
Elo-Vorteil nicht am Brett nachweisen konnten (jeweils remis), reichte
Moiseenkos Sieg gegen Jungstar Aryan Tari nur für ein 2-2 aus
ukrainischer (und norwegischer) Sicht. Das erste norwegische Team
remisierte viermal gegen Finnland, auch Carlsen war dabei und spielte
remis gegen Nyback. Norwegen 3 war dagegen chancenlos – 0-4 gegen
Deutschland. Armenien-Australien (nur) 3-1: Aronian konnte David Smerdon
nicht überwinden, und Movsesian entwischte mit einem Remis gegen IM
Illingworth – wieder stand er verdächtig bis verloren. Ausserdem konnte
Sargissian ein vorteilhaftes aber doch remisliches Endspiel gegen IM Ly
nur gewinnen, weil der Gegner am Ende einen Blackout hatte. Aus
armenischer Sicht: Hauptsache gewonnen!
Die australischen Damen konnten gegen die hochfavorisierte Ukraine zwei
Partien remis halten. Die deutschen Damen gewannen wie erwartet gegen
Ägypten, allerdings bei 300 Punkten Elovorteil an allen Brettern nur
2,5-1,5 (Schleining-Wafa 0-1, Moaataz-Melamed 1/2) – Hauptsache gewonnen
… .
Der Zwischenstand nach zwei Runden ist sagt natürlich wenig – aber als
Deutscher der seit Jahren in den Niederlanden lebt und davor einige Zeit
in Frankreich verbracht hat war ich mit der “Medaillenverteilung” im
offenen Turnier zufrieden: Frankreich führte vor den Niederlanden und
Deutschland. Aber nun begann die Olympiade richtig, alle drei bekamen
starke Gegner in der nächsten Runde und – ich greife etwas voraus –
holten dabei sieben Brett- und fünf Mannschaftspunkte.
Runde 3: Frankreich spielte an Tisch 1 gegen Armenien.
Movsesian stand wieder schlecht, diesmal bereits früh in der Partie –
und der Gegner Laurent Fressinet gewann die Partie tatsächlich.
Vachier-Lagrave überlebte gegen Aronian – so kann man es wohl
formulieren, denn er stand sicher zwischenzeitlich verloren. Noch zwei
Remisen, und die erste “Überraschung” war perfekt – bzw. es war keine
Überraschung, da Frankreich nominell sogar leicht besser ist als die
Armenier. Hinterher wurde Fressinet interviewt und meinte “soweit so
gut, aber noch sind acht Runden zu spielen!”. Lawrence Trent meinte
“Russland ist Euch sicher dankbar, dass ihr Armenien einen Dämpfer
verpasst habt!”. Da wäre ich mir nicht so sicher – Frankreich ist auch
Medaillenkandidat, und ein 2-2 zwischen direkten Konkurrenten ist im
Zweifelsfall das beste oder Wunschresultat? Die Niederlande spielten an
Tisch 2 gegen die USA. Nakamura, gerade erst angekommen (er hatte
Probleme bei der Anreise) remisierte mit Weiss in 16 Zügen gegen Giri,
Onischuk gewann souverän gegen van Wely. Soweit so gut aus US-Sicht,
aber zwei lange Endspiele (l’Ami – Kamsky und van Kampen – Akobian)
endeten mit weissen, also niederländischen Siegen. Norwegen spielt immer
am dritten Tisch, heute gegen Montenegro und das war eine lösbare
Aufgabe (3-1). Deutschland-England bedeutete ein Wiedersehen für
beiderseits zwei Spieler: Naiditsch spielte zuletzt in Dortmund gegen
Adams (ausserdem sind sie ja Baden-Badener Vereinskollegen), Meier etwa
eine Woche vor der Olympiade beim Politiken Cup gegen Gawain Jones.
Naiditsch-Adams war eine Berliner Mauer, also remis (wobei Naiditsch es
durchaus versuchte), Georg Meier gelang die Revanche gegen Jones –
wieder Trompowsky und dann Colle, aber diesmal strikt positionell mit
Entscheidung im Turmendspiel. Nisipeanu-Howell war ein nicht
ausgekämpftes Berliner remis, an Brett 4 besiegte Sadler Baramidze. Also
2-2, ein beiderseits akzeptables Ergebnis zwischen etwa gleichwertigen
Teams. Im nächsten Favoritenduell unterlag Ungarn gegen China 1,5-2,5,
da Almasi gegen Yu Yangyi erst seinen Mehrbauern im Damenendspiel verlor
und dann eine Abwicklung in ein glatt verlorenes Bauernendspiel
ermöglichte. Man kann noch viel mehr erwähnen, ich nenne nur noch
Topalovs spektakulären Sieg gegen Vallejo: erst ein Damenopfer für Turm
und Leichtfigur, dann noch ein Qualitätsopfer.
Bei den Damen fasse ich mich kürzer: Russland gewann 2,5-1,5 gegen
Frankreich – sehr glücklich: zwar ging Kosteniuks Arbeitssieg durchaus
in Ordnung, aber an den drei anderen Brettern stand Russland schlecht
und hielt remis, bei Milliet-Gunina weil die Französin sich in klar
besserer Stellung mit einer Zugwiederholung begnügte. Deutschland hatte
mit Argentinien noch einmal eine lösbare Aufgabe (3-1). Die grösste
Überraschung war wohl der 2,5-1,5 Sieg von Indonesien (Nummer 23 der
Setzliste) gegen Nummer 6 Rumänien.
Runde 4: Wie gewonnen so zerronnen für Frankreich: Der
Gegner hiess Aserbaidschan, wieder stand Vachier-Lagrave aus der
Eröffnung heraus schlecht, diesmal gegen Mamedyarov und diesmal verlor
er – nachdem er zu einem späteren Zeitpunkt eine Remischance verpasste.
Die anderen Partien endeten remis, also 2,5-1,5 für Aserbaidschan.
Knappe Ergebnisse auch an den nächsten Tischen: Serbien-Tschechien
2,5-1,5, Norwegen-Polen 2,5-1,5 (Carlsen-Wojtaszek 1-0), Russland-China
2-2, Niederlande-Israel 2-2, Bulgarien-Rumänien 2-2,
Usbekistan-Deutschland 2-2. Knappe Bemerkungen nur zu zwei Matches:
Kramnik stand gegen Wang Yue aus der Eröffnung heraus glänzend, wollte
dann zu schnell und zu spektakulär die Sache forcieren und stand trotz
Mehrqualität eher schlechter, manche behaupten zwischendurch verloren
aber am Ende wurde es remis. Parallelen sowohl zu seiner Partie im
Kandidatenturnier gegen Mamedyaorv (die er aus klarer Verluststellung
noch gewann) als auch zur Dortmunder Partie gegen Baramidze (am Ende
remis). Grischuk entwischte gegen Ding Liren, dann noch zwei Remisen –
kein Beinbruch aber doch eine gewisse Enttäuschung aus russischer Sicht.
Deutschland-Usbekistan war ein Wiedersehen mit Kasimdzhanov (der ja
auch für Baden-Baden spielt). Damals in Porto Carras half er
Deutschland, diesmal half er Usbekistan und besiegte Naiditsch an Brett
1: in einem Königsinder hat Weiss immer Vorteile am Damenflügel, Schwarz
vertraut auf Gegenspiel am Königsflügel – dazu kam es nicht und der
weisse b-Freibauer war partieentscheidend. Georg Meier glich aus, indem
er den nominell fast gleichwertigen Anton Filippov ebenfalls positionell
besiegte. Klare Elovorteile für Deutschland an den hinteren Brettern:
Baramidze gewann, aber Fridman verdarb eine vielversprechende Stellung
zum Verlust. Weiter hinten u.a. das Baden-Badener Duell Adams-Shirov
1-0, USA-Südafrika 3-1 (aber Kamsky-IM Steel 0-1) und Armenien-Costa
Rica 4-0 (Movsesian gewann aus Verluststellung gegen einen gewissen IM
Sergio Minero Pineda).
Bei den Damen gewann Iran überraschend glatt 3,5-0,5 gegen die nominell
etwa gleichwertige Slowakei, und Indonesien besiegte die favorisierten
Armenierinnen ebenfalls 3,5-0,5. Dahinter sassen Deutschland und die
Niederlande nebeneinander gegen starke Gegner. Deutschland verlor
1,5-2,5 gegen Russland – diesmal ging das Resultat insgesamt in Ordnung,
wobei Ohme-Girya 1-0 und Pogonina-Hoolt 1/2 aus deutscher sicht schöne
Ergebnisse waren (Pogonina hätte allerdings bei einem anderen Matchstand
wohl noch weiter auf Gewinn gespielt). Niederlande-Georgien wurde 2-2.
Bei den Damen waren damit Indonesien und Iran ganz vorne mit dabei, bei
den Herren hatten Aserbaidschan, Serbien und Bulgarien noch eine weisse
Weste.
Runde 5: Aserbaidschan-Serbien 2-2: Mamedyarov gewann
glatt gegen Ivanisevic, aber Radjabov verlor überraschend gegen
Perunovic (Elo 2602) und noch zwei Remis. Russland-Bulgarien 2-2. Kurz
vor der Partie am Spitzenbrett gab es einen Händedruck zwischen Kramnik
und … nein nicht Topalov, sondern Carlsen der am Nachbartisch spielte.
Kramnik gewann gegen Topalov souverän und einigermassen spektakulär.
Aber … aus russischer Sicht: Karjakin vergeigte eine eher gute Stellung
gegen GM Iotov (Elo 2553) und verlor – damit ist Iotov der einzige
Spieler im Turnier der alle fünf Partien spielte UND 5/5 holte. Dann
noch zwei Remisen. Armenien-Norwegen 2,5-1,5: Movsesian stand nicht auf
Verlust, sondern holte ein souveränes Weissremis gegen Jon Ludvig
Hammer. Aronian-Carlsen ebenfalls remis, mit symbolischen Vorteilen für
Levon. Johannessen-Akopian auch remis. Matchwinner war Sargissian, der
ein etwas besseres Endspiel gegen Agdestein weiter und weiter und immer
weiter spielte bis er den vollen Punkt holte. Niederlande-China 2-2 mit
als Höhepunkt ein sizilianisches Theorieduell zwischen Yu Yangyi und van
Wely. Ukraine-Usbekistan 1,5-2,5 (!) dank eines doppelten Blackouts von
Ivanchuk und Korobov: beide verwandelten bessere in glatt verlorene
Stellungen. Deutschland-Katar 2-2 – beinahe wurde es eine komplette
Katarstrofe aus deutscher Sicht: Naiditsch riskierte viel und das ging
gut (1-0), Meier stand zwischenzeitlich glatt verloren aber der Gegner
sah es nicht, Baramidze verlor gegen einen gewissen Nezad Hussein Aziz
(Elo 2365), Nisipeanu stand gegen Zhu Chen eher schlechter aber da waren
zum Glück ungleichfarbige Läufer. Weiter hinten noch Kanada-USA 2-2.
Bei den Damen war Schluss mit lustig für Indonesien (0,5-3,5 gegen
China) und auch Iran (1,5-2,5 gegen Ungarn). Damit konnte man rechnen.
Russland besiegte Georgien 2,5-1,5 – wobei 1,5-2,5 auch möglich war,
denn die entscheidende Partie Khotenashvili-Gunina kippte. Ukraine
verlor gegen Serbien glatt 1-3 – Mariya Muzychuk und Anna Ushenina sind
zwar gut 200 Elopunkte besser als ihre Gegnerinnen, aber heute verloren
beide. Deutschland-Frankreich 1-3: Elisabeth Paehtz stand mit Schwarz
gegen Marie Sebag laut Engines VIEL besser (Urteil bis –4), aber auf die
Schnelle und überhaupt weiss ich nicht, wie und wo/wann sie ihre
sicherlich optisch “schöne” Stellung verwerten konnte – wie dem auch
sei: remis. Tatjana Melamed verlor plötzlich eine Qualität und direkt
die Partie, Melanie Ohmes Niederlage erscheint mir vom Partieverlauf her
logisch.
Am Freitag geht es weiter: im offenen Turnier u.a.
Aserbaidschan-Georgien, Serbien-Bulgarien, Italien-Norwegen (also
Caruana-Carlsen), Usbekistan-Russland und, nun ja, Belgien-Deutschland.
Bei den Damen u.a. China-Ungarn und Serbien-Russland – also noch nicht
die Top-Begegnung China-Russland, aber wenn beide ihre Favoritenrolle
bestätigen kommt es in Runde 7. An Tisch 23 Deutschland-Malaysien.