07/08/2014

Tromso - Alles kann passieren, einiges ist bereits passiert

Alles kann passieren, einiges ist bereits passiert
 
… dabei wurden erst fünf Runden gespielt. Während viele Spieler wohl die traditionelle Bermuda-Party vor dem ersten Ruhetag besuchen (wer hat Grund zu Feiern? wer hat Grund, sich zu betrinken?), stelle ich mich der Aufgabe, das bisherige bunte Treiben zusammenzufassen. Den Untertitel hatte ich bereits vor der fünften Rund2e angedacht – und dann fühlten sich die Herren Radjabov, Karjakin, Ivanchuk, Korobov und Baramidze angesprochen. Die Damen will ich nicht völlig ignorieren: schöne Grüsse an Mariya Muzychuk und Anna Ushenina!
Bei den Herren ist der Zwischenstand nach fünf Runden noch nicht allzu aussagekräftig, zumal momentan sieben Teams mit 9:1 Mannschaftspunkten vorne liegen. Darunter ex-sowjetische Länder: mit Aserbaidschan musste man vielleicht rechnen, nicht unbedingt mit Kasachstan, Usbekistan und Georgien. Ebenfalls ganz vorne dabei sind momentan Serbien, Bulgarien und Kuba. Deutschland spielte schon dreimal unentschieden, liegt damit (7:3 Punkte) auf dem 25. Platz, immerhin punktgleich mit u.a Ukraine und USA.
Bei den Damen führt ein Favoritentrio (China, Ungarn und Russland) mit jeweils noch perfekten 10:0 Mannschaftspunkten. Deutschland verbuchte drei Siege und zwei Niederlagen (gegen starke Gegner).
Bei den Herren wird wohl eine Serie bis Turnierende halten: in jeder Runde punkten Spieler aus Baden-Baden. Schliesslich sind sehr viele für diverse Länder aktiv, es gab auch schon mehrere vereinsinterne Duelle. Eine Serie eines Baden-Badeners riss jedoch in Runde 5. Aber ich will den Ereignissen nicht vorausgreifen, sondern berichte nun knapp Runde für Runde – wobei ich weder auf Partien noch auf das Drumherum (Interviews usw.) im Detail eingehen kann.
 
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Runde 1: eigentlich Pflichtaufgaben für die jeweils stärkeren Teams. Ein Team machte in mehrerlei Hinsicht Schlagzeilen: Norwegen ist Ausrichter, hat einen Weltklassespieler (der allerdings, wie fast alle Brett 1 Spieler, in dieser Runde pausierte) und gewann nur 2,5-1,5 gegen Jemen. Ansonsten sehr oft 4-0, auch bei Deutschland-Irak (Herren) und Deutschland -Albanien (Damen). Was Elisabeth Paehtz da zu einem Damenopfer gegen WCM Rozana Gjergji (Elo 1981) motivierte, bleibt ihr Geheimnis: es war wohl völlig inkorrekt, aber am Ende gewann sie trotzdem. Noch mehr Glück hatte der Baden-Badener in armenischen Diensten Sergei Movsesian: gegen den japanischen FM Kojima stand er völlig verloren – der Gegner verpasste erst ein vierzügiges, dann ein dreizügiges Matt, dann entschied der schwarze Gegenangriff in wenigen Zügen.
 
Runde 2: weiterhin klare Ergebnisse, aber nicht mehr überall. Norwegen machte doppelt Schlagzeilen: Das zweite Team remisierte gegen Ukraine. Am Spitzenbrett spielte Ivanchuk einen merkwürdigen Stonewall – das war wohl noch einigermassen OK, aber eine Abwicklung bei der er zwei Türme gegen die weisse Dame tauschte hat er völlig falsch eingeschätzt, kurz danach gewann IM Urkedal (Elo 2500) gegen GM Ivanchuk (2744). Da Eljanov und Korobov jeweils über 200 Punkte Elo-Vorteil nicht am Brett nachweisen konnten (jeweils remis), reichte Moiseenkos Sieg gegen Jungstar Aryan Tari nur für ein 2-2 aus ukrainischer (und norwegischer) Sicht. Das erste norwegische Team remisierte viermal gegen Finnland, auch Carlsen war dabei und spielte remis gegen Nyback. Norwegen 3 war dagegen chancenlos – 0-4 gegen Deutschland. Armenien-Australien (nur) 3-1: Aronian konnte David Smerdon nicht überwinden, und Movsesian entwischte mit einem Remis gegen IM Illingworth – wieder stand er verdächtig bis verloren. Ausserdem konnte Sargissian ein vorteilhaftes aber doch remisliches Endspiel gegen IM Ly nur gewinnen, weil der Gegner am Ende einen Blackout hatte. Aus armenischer Sicht: Hauptsache gewonnen!
Die australischen Damen konnten gegen die hochfavorisierte Ukraine zwei Partien remis halten. Die deutschen Damen gewannen wie erwartet gegen Ägypten, allerdings bei 300 Punkten Elovorteil an allen Brettern nur 2,5-1,5 (Schleining-Wafa 0-1, Moaataz-Melamed 1/2) – Hauptsache gewonnen … .
Der Zwischenstand nach zwei Runden ist sagt natürlich wenig – aber als Deutscher der seit Jahren in den Niederlanden lebt und davor einige Zeit in Frankreich verbracht hat war ich mit der “Medaillenverteilung” im offenen Turnier zufrieden: Frankreich führte vor den Niederlanden und Deutschland. Aber nun begann die Olympiade richtig, alle drei bekamen starke Gegner in der nächsten Runde und – ich greife etwas voraus – holten dabei sieben Brett- und fünf Mannschaftspunkte.
 
Runde 3: Frankreich spielte an Tisch 1 gegen Armenien. Movsesian stand wieder schlecht, diesmal bereits früh in der Partie – und der Gegner Laurent Fressinet gewann die Partie tatsächlich. Vachier-Lagrave überlebte gegen Aronian – so kann man es wohl formulieren, denn er stand sicher zwischenzeitlich verloren. Noch zwei Remisen, und die erste “Überraschung” war perfekt – bzw. es war keine Überraschung, da Frankreich nominell sogar leicht besser ist als die Armenier. Hinterher wurde Fressinet interviewt und meinte “soweit so gut, aber noch sind acht Runden zu spielen!”. Lawrence Trent meinte “Russland ist Euch sicher dankbar, dass ihr Armenien einen Dämpfer verpasst habt!”. Da wäre ich mir nicht so sicher – Frankreich ist auch Medaillenkandidat, und ein 2-2 zwischen direkten Konkurrenten ist im Zweifelsfall das beste oder Wunschresultat? Die Niederlande spielten an Tisch 2 gegen die USA. Nakamura, gerade erst angekommen (er hatte Probleme bei der Anreise) remisierte mit Weiss in 16 Zügen gegen Giri, Onischuk gewann souverän gegen van Wely. Soweit so gut aus US-Sicht, aber zwei lange Endspiele (l’Ami – Kamsky und van Kampen – Akobian) endeten mit weissen, also niederländischen Siegen. Norwegen spielt immer am dritten Tisch, heute gegen Montenegro und das war eine lösbare Aufgabe (3-1). Deutschland-England bedeutete ein Wiedersehen für beiderseits zwei Spieler: Naiditsch spielte zuletzt in Dortmund gegen Adams (ausserdem sind sie ja Baden-Badener Vereinskollegen), Meier etwa eine Woche vor der Olympiade beim Politiken Cup gegen Gawain Jones. Naiditsch-Adams war eine Berliner Mauer, also remis (wobei Naiditsch es durchaus versuchte), Georg Meier gelang die Revanche gegen Jones – wieder Trompowsky und dann Colle, aber diesmal strikt positionell mit Entscheidung im Turmendspiel. Nisipeanu-Howell war ein nicht ausgekämpftes Berliner remis, an Brett 4 besiegte Sadler Baramidze. Also 2-2, ein beiderseits akzeptables Ergebnis zwischen etwa gleichwertigen Teams. Im nächsten Favoritenduell unterlag Ungarn gegen China 1,5-2,5, da Almasi gegen Yu Yangyi erst seinen Mehrbauern im Damenendspiel verlor und dann eine Abwicklung in ein glatt verlorenes Bauernendspiel ermöglichte. Man kann noch viel mehr erwähnen, ich nenne nur noch Topalovs spektakulären Sieg gegen Vallejo: erst ein Damenopfer für Turm und Leichtfigur, dann noch ein Qualitätsopfer.
Bei den Damen fasse ich mich kürzer: Russland gewann 2,5-1,5 gegen Frankreich – sehr glücklich: zwar ging Kosteniuks Arbeitssieg durchaus in Ordnung, aber an den drei anderen Brettern stand Russland schlecht und hielt remis, bei Milliet-Gunina weil die Französin sich in klar besserer Stellung mit einer Zugwiederholung begnügte. Deutschland hatte mit Argentinien noch einmal eine lösbare Aufgabe (3-1). Die grösste Überraschung war wohl der 2,5-1,5 Sieg von Indonesien (Nummer 23 der Setzliste) gegen Nummer 6 Rumänien.
 
Runde 4: Wie gewonnen so zerronnen für Frankreich: Der Gegner hiess Aserbaidschan, wieder stand Vachier-Lagrave aus der Eröffnung heraus schlecht, diesmal gegen Mamedyarov und diesmal verlor er – nachdem er zu einem späteren Zeitpunkt eine Remischance verpasste. Die anderen Partien endeten remis, also 2,5-1,5 für Aserbaidschan. Knappe Ergebnisse auch an den nächsten Tischen: Serbien-Tschechien 2,5-1,5, Norwegen-Polen 2,5-1,5 (Carlsen-Wojtaszek 1-0), Russland-China 2-2, Niederlande-Israel 2-2, Bulgarien-Rumänien 2-2, Usbekistan-Deutschland 2-2. Knappe Bemerkungen nur zu zwei Matches: Kramnik stand gegen Wang Yue aus der Eröffnung heraus glänzend, wollte dann zu schnell und zu spektakulär die Sache forcieren und stand trotz Mehrqualität eher schlechter, manche behaupten zwischendurch verloren aber am Ende wurde es remis. Parallelen sowohl zu seiner Partie im Kandidatenturnier gegen Mamedyaorv (die er aus klarer Verluststellung noch gewann) als auch zur Dortmunder Partie gegen Baramidze (am Ende remis). Grischuk entwischte gegen Ding Liren, dann noch zwei Remisen – kein Beinbruch aber doch eine gewisse Enttäuschung aus russischer Sicht. Deutschland-Usbekistan war ein Wiedersehen mit Kasimdzhanov (der ja auch für Baden-Baden spielt). Damals in Porto Carras half er Deutschland, diesmal half er Usbekistan und besiegte Naiditsch an Brett 1: in einem Königsinder hat Weiss immer Vorteile am Damenflügel, Schwarz vertraut auf Gegenspiel am Königsflügel – dazu kam es nicht und der weisse b-Freibauer war partieentscheidend. Georg Meier glich aus, indem er den nominell fast gleichwertigen Anton Filippov ebenfalls positionell besiegte. Klare Elovorteile für Deutschland an den hinteren Brettern: Baramidze gewann, aber Fridman verdarb eine vielversprechende Stellung zum Verlust. Weiter hinten u.a. das Baden-Badener Duell Adams-Shirov 1-0, USA-Südafrika 3-1 (aber Kamsky-IM Steel 0-1) und Armenien-Costa Rica 4-0 (Movsesian gewann aus Verluststellung gegen einen gewissen IM Sergio Minero Pineda).
Bei den Damen gewann Iran überraschend glatt 3,5-0,5 gegen die nominell etwa gleichwertige Slowakei, und Indonesien besiegte die favorisierten Armenierinnen ebenfalls 3,5-0,5. Dahinter sassen Deutschland und die Niederlande nebeneinander gegen starke Gegner. Deutschland verlor 1,5-2,5 gegen Russland – diesmal ging das Resultat insgesamt in Ordnung, wobei Ohme-Girya 1-0 und Pogonina-Hoolt 1/2 aus deutscher sicht schöne Ergebnisse waren (Pogonina hätte allerdings bei einem anderen Matchstand wohl noch weiter auf Gewinn gespielt). Niederlande-Georgien wurde 2-2.
Bei den Damen waren damit Indonesien und Iran ganz vorne mit dabei, bei den Herren hatten Aserbaidschan, Serbien und Bulgarien noch eine weisse Weste.
 
Runde 5: Aserbaidschan-Serbien 2-2: Mamedyarov gewann glatt gegen Ivanisevic, aber Radjabov verlor überraschend gegen Perunovic (Elo 2602) und noch zwei Remis. Russland-Bulgarien 2-2. Kurz vor der Partie am Spitzenbrett gab es einen Händedruck zwischen Kramnik und … nein nicht Topalov, sondern Carlsen der am Nachbartisch spielte. Kramnik gewann gegen Topalov souverän und einigermassen spektakulär. Aber … aus russischer Sicht: Karjakin vergeigte eine eher gute Stellung gegen GM Iotov (Elo 2553) und verlor – damit ist Iotov der einzige Spieler im Turnier der alle fünf Partien spielte UND 5/5 holte. Dann noch zwei Remisen. Armenien-Norwegen 2,5-1,5: Movsesian stand nicht auf Verlust, sondern holte ein souveränes Weissremis gegen Jon Ludvig Hammer. Aronian-Carlsen ebenfalls remis, mit symbolischen Vorteilen für Levon. Johannessen-Akopian auch remis. Matchwinner war Sargissian, der ein etwas besseres Endspiel gegen Agdestein weiter und weiter und immer weiter spielte bis er den vollen Punkt holte. Niederlande-China 2-2 mit als Höhepunkt ein sizilianisches Theorieduell zwischen Yu Yangyi und van Wely. Ukraine-Usbekistan 1,5-2,5 (!) dank eines doppelten Blackouts von Ivanchuk und Korobov: beide verwandelten bessere in glatt verlorene Stellungen. Deutschland-Katar 2-2 – beinahe wurde es eine komplette Katarstrofe aus deutscher Sicht: Naiditsch riskierte viel und das ging gut (1-0), Meier stand zwischenzeitlich glatt verloren aber der Gegner sah es nicht, Baramidze verlor gegen einen gewissen Nezad Hussein Aziz (Elo 2365), Nisipeanu stand gegen Zhu Chen eher schlechter aber da waren zum Glück ungleichfarbige Läufer. Weiter hinten noch Kanada-USA 2-2.
Bei den Damen war Schluss mit lustig für Indonesien (0,5-3,5 gegen China) und auch Iran (1,5-2,5 gegen Ungarn). Damit konnte man rechnen. Russland besiegte Georgien 2,5-1,5 – wobei 1,5-2,5 auch möglich war, denn die entscheidende Partie Khotenashvili-Gunina kippte. Ukraine verlor gegen Serbien glatt 1-3 – Mariya Muzychuk und Anna Ushenina sind zwar gut 200 Elopunkte besser als ihre Gegnerinnen, aber heute verloren beide. Deutschland-Frankreich 1-3: Elisabeth Paehtz stand mit Schwarz gegen Marie Sebag laut Engines VIEL besser (Urteil bis –4), aber auf die Schnelle und überhaupt weiss ich nicht, wie und wo/wann sie ihre sicherlich optisch “schöne” Stellung verwerten konnte – wie dem auch sei: remis. Tatjana Melamed verlor plötzlich eine Qualität und direkt die Partie, Melanie Ohmes Niederlage erscheint mir vom Partieverlauf her logisch.
 
Am Freitag geht es weiter: im offenen Turnier u.a. Aserbaidschan-Georgien, Serbien-Bulgarien, Italien-Norwegen (also Caruana-Carlsen), Usbekistan-Russland und, nun ja, Belgien-Deutschland. Bei den Damen u.a. China-Ungarn und Serbien-Russland – also noch nicht die Top-Begegnung China-Russland, aber wenn beide ihre Favoritenrolle bestätigen kommt es in Runde 7. An Tisch 23 Deutschland-Malaysien.