Jörg Gerke
Nehmt und euch wird gegeben
Das ostdeutsche Agrarkartell
Nehmt und euch wird gegeben
Das ostdeutsche Agrarkartell
„Nirgends
haben die Führungskader der DDR die Wende so unbeschadet überstanden
wie auf dem Lande. In vielen Dörfern herrschen noch immer die Chefs
der alten landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften. Die
kleineren Bauern wurden ausgetrickst und ausgenommen, mit Hilfe und
zugunsten alter Seilschaften. ... Mitglieder der alten Bauernpartei
besetzen auch heute noch Schlüsselpositionen, vor allem in den
Landwirtschaftsministerien der neuen Länder. Tatkräftig haben sie
mitgeholfen, dass die alten LPG-Chefs sich riesige Güter aneignen
konnten: Warnungen werden ignoriert, Kritiker gefeuert.“ (DER
SPIEGEL 24/1995, „Bauernland in Bonzenhand – Die neuen und alten
Herren im Osten“)
Was
der SPIEGEL in seiner Titelgeschichte bereits 1995 beschrieb, hat
sich bis 2008 zu einem absurden Subventionierungs-, Begünstigungs-
und Diskriminierungs- System in der ostdeutschen Agrarlandschaft
gesteigert. Zweistellige Agrarmilliarden-Beträge sind seit der Wende
an wenige tausend Personen verteilt worden – vor allem die Leiter
unrentabler ostdeutscher Nachfolgebetriebe der ehemaligen
„Landwirtschaftlichen Produktions-Genossenschaften“ (LPG) – zu
Lasten ihrer ehemaligen Mitglieder, neuer Existenzgründer und der
Arbeitsplätze in den ländlichen Regionen Ostdeutschlands.
Jörg Gerke, promovierter Agrarwissenschaftler und Landwirt in Mecklenburg, hat in einem aufsehenerregenden Buch diese weitgehend unveröffentlichten Prozesse dokumentiert. Er beschreibt anschaulich und spannend dieses auch mit Hilfe maßgeblicher deutscher Regierungspolitiker angelegte „Bauernlegen für neue Großgrundbesitzer und Agrarindustrie“.
Gerkes Recherche-Ergebnis: „Diesen Großbetrieben wurden zwischen 15 und 25 Milliarden Euro an Sondersubventionen zugeschoben - vor allem durch die Streichung großer Teile der Altschulden, durch die exklusive und verbilligte Pacht von Bundes-, Landes- und kommunalen landwirtschaftlichen Nutzflächen und durch die gesetzeswidrige Bereicherung auf Kosten der ausgeschiedenen LPG-Mitglieder.“ Dabei sind die jährlichen Agrarzahlungen der EU noch nicht einmal mitgerechnet, von denen die LPG-Nachfolger und einige wenige Agrargroßbetriebe westdeutscher Investoren auf ganz besondere Weise profitieren.
Dabei
hat diese Agrarpolitik nicht etwa zu prosperierenden Regionen in
Ostedeutschland geführt. Gerade wegen dieser Agrarpolitik finden
immer weniger Menschen Arbeit auf dem Lande, sie wandern ab, ganze
Regionen veröden.
Gedeckt
und vertuscht wurden diese Prozesse durch kartellartige Seilschaften
ostdeutscher Politiker der SED und ihrer Blockparteien in
Agrarverwaltung, Agrarlobby, Agrarpolitik und Presse – und auch
durch maßgebliche westdeutsche Agrar- und Regierungspolitiker.
Selbst die Veröffentlichung der großen Subventionsempfänger (oft
mehrere Millionen Euro pro Jahr) kann im Rahmen der
„Transparenzinitiative“ nur mühsam durchgesetzt werden.
Systematisch
benachteiligt, betrogen und ausgegrenzt wurden dadurch
Hunderttausende von Beschäftigten in den LPG-Nachfolgebetrieben,
ebenso Hunderttausende von Bauern, die schon in Sowjetischer
Beatzungszone und der DDR unterdrückt und enteignet wurden, außerdem
Zehntausende von landwirtschaftlichen Existenzgründern und
„Wiedereinrichtern“.
Diese
systematisch angelegte Politik der Begünstigung einiger weniger
durch das „Agrarkartell“ schildert Gerke in drei wesentlichen
Bereichen:
1. Landverteilung
Nach 1990 verfügte die öffentliche Hand (Treuhand bzw. BVVG) im Osten über mehr als 50% der landwirtschaftlichen Nutzfläche – aufgrund der früheren Enteignungen in der SBZ und in der DDR und durch die Enteignung von Bodenreformland durch die Kohl-Regierung im Jahre 1992. Umgesetzt wurde die Verteilung dieser Flächen von den ostdeutschen Agrarverwaltungen, unter maßgeblicher Beteiligung der „Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe“(VdgB), die in der DDR das Instrument der Zwangskollektivierung hunderttausender Bauernhöfe war, die aber dennoch sofort nach der Wende die ostdeutschen Landesverbände des Deutschen Bauernverbands bilden durfte. Die Folge war, dass „die DDR-Agrarkader, als LPG-Nachfolger oder als Betriebsgründer, die öffentlichen Flächen zu stark subventionierten Pachtpreisen erhielten“, daneben einige westdeutsche Bauernverbandsfunktionäre, wenige westdeutsche Agrarindustrielle und vereinzelt auch Nachkommen alter Adelsfamilien mit guten Kontakten - insgesamt nur 3.000 bis 10.000 Personen.
1. Landverteilung
Nach 1990 verfügte die öffentliche Hand (Treuhand bzw. BVVG) im Osten über mehr als 50% der landwirtschaftlichen Nutzfläche – aufgrund der früheren Enteignungen in der SBZ und in der DDR und durch die Enteignung von Bodenreformland durch die Kohl-Regierung im Jahre 1992. Umgesetzt wurde die Verteilung dieser Flächen von den ostdeutschen Agrarverwaltungen, unter maßgeblicher Beteiligung der „Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe“(VdgB), die in der DDR das Instrument der Zwangskollektivierung hunderttausender Bauernhöfe war, die aber dennoch sofort nach der Wende die ostdeutschen Landesverbände des Deutschen Bauernverbands bilden durfte. Die Folge war, dass „die DDR-Agrarkader, als LPG-Nachfolger oder als Betriebsgründer, die öffentlichen Flächen zu stark subventionierten Pachtpreisen erhielten“, daneben einige westdeutsche Bauernverbandsfunktionäre, wenige westdeutsche Agrarindustrielle und vereinzelt auch Nachkommen alter Adelsfamilien mit guten Kontakten - insgesamt nur 3.000 bis 10.000 Personen.
2.
Vermögensauseinandersetzung
Die vorgeschriebene Abfindung der nach 1990 ausgeschiedenen 700.000 LPG-Mitglieder wurde systematisch durch Bilanzierungstricks unterlaufen. Eine Forschungsgruppe unter Leitung von Professor Dr. Bayer (Universität Jena) stellte fest, dass die Mehrzahl aller Abfindungen nicht in der gesetzlichen Weise durchgeführt wurden, dass 15 % davon sogar rechtsunwirksam sind und dass sich die LPG-Nachfolger auf Kosten der LPG-Mitglieder unrechtmäßig bereicherten. Selbst viele der durchgeführten „Überprüfungen“ durch Politik und Verwaltung seien „das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben wurden“.
Die vorgeschriebene Abfindung der nach 1990 ausgeschiedenen 700.000 LPG-Mitglieder wurde systematisch durch Bilanzierungstricks unterlaufen. Eine Forschungsgruppe unter Leitung von Professor Dr. Bayer (Universität Jena) stellte fest, dass die Mehrzahl aller Abfindungen nicht in der gesetzlichen Weise durchgeführt wurden, dass 15 % davon sogar rechtsunwirksam sind und dass sich die LPG-Nachfolger auf Kosten der LPG-Mitglieder unrechtmäßig bereicherten. Selbst viele der durchgeführten „Überprüfungen“ durch Politik und Verwaltung seien „das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben wurden“.
3.
EU-Agrarsubventionen
Seit 1992 haben sich die ostdeutschen Agrargroßbetriebe vor allem auf Produktionszweige konzentriert, die hohe Flächenprämien bei wenig Arbeitseinsatz und geringer Wertschöpfung bedeuten. Das führte zur massiven Entlassung von Arbeitskräften und steigerte den Anteil der Subventionen an den Betriebserlösen auf eine Höhe, bei der die Leiter der Großbetriebe allein von den jährlichen Agrarprämie leben, während ihre Betriebe ohne diese Prämien unrentabel würden. Die ostdeutsche Agrarlobby mit ihrem mächtigen Einfluss innerhalb des Bauernverbands und gegenüber der Agrarpolitik verhinderte auch Reformvorschläge des EU-Kommissars Fischler, wonach die Prämienhöhe auf maximal 300.000 Euro je Betrieb begrenzt und allein durch Nachweis von Arbeitsplätzen bzw. Lohnkosten erhöht werden könnte. Mit den EU-Beihilfen wurde also nicht die Beschäftigung in der ostdeutschen Landwirtschaft gesichert, sondern die Rationalisierung und die Beschäftigung zu Niedrigstlöhnen vorangetrieben.
Seit 1992 haben sich die ostdeutschen Agrargroßbetriebe vor allem auf Produktionszweige konzentriert, die hohe Flächenprämien bei wenig Arbeitseinsatz und geringer Wertschöpfung bedeuten. Das führte zur massiven Entlassung von Arbeitskräften und steigerte den Anteil der Subventionen an den Betriebserlösen auf eine Höhe, bei der die Leiter der Großbetriebe allein von den jährlichen Agrarprämie leben, während ihre Betriebe ohne diese Prämien unrentabel würden. Die ostdeutsche Agrarlobby mit ihrem mächtigen Einfluss innerhalb des Bauernverbands und gegenüber der Agrarpolitik verhinderte auch Reformvorschläge des EU-Kommissars Fischler, wonach die Prämienhöhe auf maximal 300.000 Euro je Betrieb begrenzt und allein durch Nachweis von Arbeitsplätzen bzw. Lohnkosten erhöht werden könnte. Mit den EU-Beihilfen wurde also nicht die Beschäftigung in der ostdeutschen Landwirtschaft gesichert, sondern die Rationalisierung und die Beschäftigung zu Niedrigstlöhnen vorangetrieben.
Diese
Konstellationen sind auch verantwortlich dafür, dass ganze Regionen
in Ostdeutschland als Experimentierfeld der Gentechnologie-Konzerne
herhalten müssen und dass Agrarindustrielle auf den Standorten der
ehemaligen „Kombinate Industrielle Mast“ riesige Agrarfabriken
aufbauen. Der Aufbau einer bäuerlichen Landwirtschaft mit vielen
rentablen Höfen, vielen Arbeitsplätzen und einer
umweltverträglichen, artgerechten Tierhaltung wird strukturell
verhindert. Dies beeinträchtigt - durch die Wettbewerbsverzerrung –
auch rentable westdeutsche bäuerlicher Betriebe.
Es
geht Gerke in seinem Buch dabei nicht um die Frage von mehr oder
weniger Geld für den Osten, sondern um eine sinnvolle Verteilung der
Mittel, um eine Korrektur des unsinnigen Subventionssystems und
insgesamt um eine agrarpolitische Umorientierung. In diesem
Zusammenhang fordert er
- die Anbindung von Agrarbeihilfen an Beschäftigung, soziale Mindeststandards und Mindestlöhne,
- eine breite Streuung von landwirtschaftlichen Flächen der öffentlichen Hand zum Aufbau einer mittelständischen und vielfältigen Landwirtschaft und zur Entschädigung der Opfer von Enteignungen,
- Ausgleichszahlungen an ausgeschiedene LPG-Mitglieder, die diesen zuvor durch das vorsätzliche oder fahrlässige Vorgehen von Politik und Justiz entzogen wurden,
- ein neues landwirtschaftliches Siedlungsprogramm zur Förderung einer breiten, vielfältigen Landwirtschaft mit hoher Wertschöpfung in Ostdeutschland.
Jörg
Gerke, Nehmt und euch wird gegeben - Das ostdeutsche Agrarkartell,
1. Auflage 2008, 336 Seiten, AbL-Verlag, Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm,
Tel. 02381-492221, www.bauernstimme.de, ISBN 978-3-930413-34-8 , verlag@bauernstimme.de
1. Auflage 2008, 336 Seiten, AbL-Verlag, Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm,
Tel. 02381-492221, www.bauernstimme.de, ISBN 978-3-930413-34-8 , verlag@bauernstimme.de